Der unsichtbare Mond
nicht, dass sie die Schreie jemals aus ihrer Erinnerung würde tilgen können. Dann war es vorbei. Shingo ließ die verkohlten Überreste dessen, was einmal Merediths Chefredakteur gewesen war, auf die Ziegelsteine vor dem Feuer fallen und wandte sich ihr wieder zu.
»Sieh nur, Meredith«, sagte er mit einem ehrfürchtigen Ton in der Stimme, »fünf Minuten über einem offenen Feuer und nicht einmal eine Blase.«
Sie musste zugeben, dass das ziemlich erstaunlich war – sein Unterarm war mit Asche und versengten Haaren bestäubt, ansonsten war er jedoch vollkommen unverletzt.
»Aber Shingo, wie… wie…«
Bevor er ihr antworten konnte, stürzte ein Kamikaze-Pilot im Tiefflug auf seinen Kopf hinunter und explodierte. Mehr aus Überraschung als vor Schmerz ließ Shingo Meredith fallen. Sie suchte Zuflucht unter dem Gerüst, um zu sehen, welcher Wahnsinnige ihren riesigen, psychotischen Freund angriff.
Es war Glen.
Der Troll, der einmal ein Kobold gewesen war, umkreiste Shingo vorsichtig, mit kürbisgroßen Molotow-Cocktails bewaffnet. Shingo schüttelte den ersten Angriff ab und richtete sich auf, um sich ihm zu stellen.
Fast schien er überrascht, als er sah, wer sein Gegner war. Grinsend stemmte er die Arme in die Hüften: »Mr. Beecroft, was machen Sie da? Ich bin’s, Shingo.«
Glen ließ sich davon nicht beirren. Er hatte eine weitere der Granaten angezündet und wirbelte sie über seinem Kopf herum. »Erstens«, sagte er, ein wenig außer Atem. »Ich kenne Shingo. Shingo war mein Freund. Und du… bist… nicht… Shingo!«, schloss er und warf das brennende Geschoss nach Shingos Kopf.
»Verdammt noch mal«, sagte Shingo, dessen Kopf durch den Aufprall nach hinten gerissen wurde. »Das muss nicht sein.« Er streifte die Flammen ab und schob sich näher an Glen heran, der auf die Theke gesprungen war.
Meredith konnte sehen, wohin das Ganze führen würde, und begann vorsorglich das Gerüst hinauf zu klettern, um sich weiter von dem Kampf zu entfernen. Von ihrem Sitzplatz in etwa sechs Metern Höhe konnte sie Delna sehen, die hinter der Tür zu den Privaträumen kauerte und zweifellos weitere Cocktails für Glen vorbereitete.
Delnas Mann hatte eine neue Granate angezündet und sprach weiter. »Und zweitens: Du irrst dich. Ich bin nicht wie du.« Er schleuderte den Cocktail, dem Shingo mit Leichtigkeit auswich.
»Mist«, sagte Glen.
Unvermittelt machte Shingo einen Satz durch den Raum und landete rittlings auf der Theke, gerade als Glen zu einem Kronleuchter hinaufsprang.
Shingo ließ seinen Blick über das halbe Dutzend Molotow-Cocktails wandern, die um die Theke herum standen, und grinste boshaft zu Glen hinauf.
»Das muss wirklich nicht sein. Ich will nur mit Meredith reden. Warum machst du mir das so schwer? Ich meine, wer schert sich überhaupt um diesen verrückten, alten Kerl?«
»Drittens«, sagte Glen, der hin und her schwang: »Mich kümmert es, weil er ein zahlender Kunde war. Und selbst wenn die Welt untergeht, muss immer noch irgendjemand da sein, der für den Kaffee bezahlt. Und viertens«, schloss er, zog ein Feuerzeug aus seiner Tasche und schnipste es auf: »Ihr Jungs lernt es einfach nie!«
Shingos Augen weiteten sich.
Glen ließ das Feuerzeug fallen.
Die Welt ging in Flammen auf.
Das Feuer fegte durch die Halle und versengte alles bis auf die blanken Wände: Gemälde, die Möbel, Bücherregale – alles fiel der nachfolgenden Verheerung zum Opfer. Meredith konnte sehen, dass Glen sich gerade hoch genug befand, um möglicherweise zu überleben. Allerdings würde er kahl und weich gekocht sein, wenn alles vorbei war. Was sie betraf, so gab das Holz des Gerüsts rasch nach und sie kletterte höher und höher, um den steigenden Flammen zu entkommen. Als sie nicht mehr höher klettern konnte, wickelte sie sich um die Stangen und klammerte sich daran fest, obwohl es nicht lange dauerte, bis sie vor Hitze fast glühten.
Es war eine ungewöhnliche Erfahrung – sie hatte den Duft kochenden Kinderfleisches gerochen, hatte zu ihrem Betrüben vor kurzem erst den Gestank des versengten und geschwärzten Fleisches ihrer Freunde riechen müssen, doch es war ein vollkommen neues Gefühl, den eigenen Geruch zu riechen, der wie Bratenduft in die Luft aufstieg.
Shingo hat Recht, dachte sie – einige von uns sind zum Überleben bestimmt.
Als das Feuer erstarb, hatte sie schreckliche Schmerzen. An den Stellen, wo sie die Stangen gepackt hatte, war ihre Haut verkohlt. Aber sie war am
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