Der unsichtbare Mond
nach allem, was ich mitbekommen habe, war er ein riesiger Mann und es gab keine Anzeichen eines Kampfes. Wie hast du…?«
»Das war das Verrückte daran – er hat mir sein Leben angeboten. Er hat gesagt, dass er sich nicht wehren würde, unter zwei Bedingungen: Ich musste ihn mit einem einzigen Streich töten, der seinen Kopf vom Körper abtrennte. Und niemand durfte seinen Kopf finden.«
»Warum hätte er etwas dagegen haben sollen, dass man seinen Kopf fand?«
Shingo zuckte mit den Schultern, eine Geste, die durch die vielen stachligen Körperfortsätze einer Laola-Welle in einem Fußballstadion glich. »Keine Ahnung. Aber wie konnte ich ihm das abschlagen? Schließlich unterstützte er mich in meiner Absicht ihn umzubringen!«
»Was hast du damit gemacht?«
»Ich habe ihn in meinem Mantel nach Hause geschmuggelt und in eine Kiste gepackt, zusammen mit Delnas Rezept für geschmorten Wühlmaus-Eintopf. Die Kiste habe ich auf ein kanadisches Frachtschiff gebracht, das nach Spanien fuhr.«
Meredith unterdrückte ein Schluchzen. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Spanien?«
»Ja. Wenn ihm das nicht weit genug ist – was soll’s, er ist ohnehin tot, oder?«
Sie schloss die Augen. »Und niemand hat dich je verdächtigt?«
Er knurrte abfällig. »Hier? In diesem Kaff? Mein Vater ist der mächtigste Mann in Silvertown. Sogar als dieser Hund sie in die Bibliothek geführt hat, haben sie das nicht weiter verfolgt. Nur nicht die Oberschicht angreifen! Verdammt, selbst wenn sie es getan hätten – dieser Trottel von einem Bürgermeister hätte sich noch dafür entschuldigt, dass er die Band nicht zur Begleitung hatte spielen lassen.«
»Shingo, in der Nacht als sie gestorben ist, hast du es ihr da gesagt? Hast du deiner Mutter erzählt, was du herausgefunden hast?«
»Warum sollte es sie kümmern, wer dein Vater war? Ich habe ihr nur gesagt, dass ich dir einen Heiratsantrag machen möchte und das schien sie schon genug aufzuregen. Ich kann mir nicht vorstellen, was sie getan hätte, wenn sie herausgefunden hätte, dass ich ihren russischen Romeo umgebracht habe.«
Unvermittelt kam Meredith ein Gedanke – eine Ahnung, die auf eine verdrehte, ödipale Weise eine Menge Sinn in dieses Wirrwarr von Beziehungen brachte. »Shingo, ist dir nie der Verdacht gekommen, Wasily und deine Mutter könnten eine Beziehung haben? Ich meine, haben sie jemals etwas gesagt oder getan, das dich darauf hätte bringen können?«
Shingos Augen verengten sich und er begann schneller zu atmen. »Getan? Sie haben alles zusammen gemacht. Er und meine Eltern waren die besten Freunde. Wenn mein Vater in seine Malerei versunken war, dann haben Wasily und meine Mutter gemeinsam zu Abend gegessen, manchmal jede Nacht, und…«
Sie drängte weiter. Ihr Einfall schien ihr zunehmend überzeugender. »Sind sie gemeinsam auf Reisen gegangen? Ohne Ted, meine ich.«
»Nur auf Tagestouren, nach Brendan’s Ferry und nach…«
Er hielt erneut inne. Sein Atem ging jetzt in raschen, rauen Zügen.
»Ist dir niemals etwas aufgefallen an der Art, wie sie ihn angesehen oder berührt hat?«
Keine Antwort, nur ein Keuchen und ein leichtes Zittern, das sich über seine Arme und Fäuste ausbreitete.
»Sie hatten eine Affäre. Allerdings fing sie sehr viel früher an, als du geglaubt hast.«
Die riesige Gestalt unter ihr sagte nichts, zitterte jedoch immer heftiger. Die Auswüchse um seinen Kopf und seine Schultern richteten sich fächerförmig auf, wie ein zeremonieller Kopfschmuck. Schlagartig fielen die letzten Puzzleteile an ihren Platz und Meredith wusste, dass sie Recht hatte.
»Du hast es gewusst, nicht wahr? Oder zumindest geahnt. Die Affäre begann vor Jahren…«
Schach…
Ein Ausdruck des Schreckens – oder war es Furcht? – leuchtete in Shingos Augen auf.
»Ich möchte wetten, dass sie mindestens neun Monate vor deiner Geburt begonnen hatte.«
… und Matt.
Shingo brüllte seinen Schmerz und seine Wut heraus, und legte sie dann in einen vernichtenden Schlag mit beiden Fäusten, der (Meredith wusste nicht, ob absichtlich oder nicht) gegen die Stützen des Gerüsts gerichtet war. Sie brachen auseinander und flogen durch den Raum.
Wie in einem Zeichentrickfilm folgte eine verzögerte Reaktion, die sich den Rahmen hinauf bis dorthin fortsetzte, wo sie sich festklammerte.
Dann kippte die Welt weg.
Der Rahmen schlug gegen die Deckenlampen und riss sie aus ihren Verankerungen, auch diejenige, auf der Glen allmählich
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