Der unsichtbare Zweite
Prioritäten meines Lebens rechnen. Nicht so sehr wegen ideologischer Divergenzen (auch wenn ihre Standpunkte, besonders zur Frage des Aufschwungs der Weltwirtschaft, mich kalt lassen), sondern weil sie eine physisch aufdringliche, verbal ätzende Frau ist, die dir, wenn sie einmal loslegt, den Eindruck vermittelt, gleich werde sie dich am Kragen packen und wie einen nassen Regenschirm schütteln. So ungefähr habe ich mich Migliarini gegenüber ausgedrückt, als er mir eines Vormittags auf einer Bank im Pinciopark vom Stapellauf dieser Fähre gesprochen hat.
»Auch du«, gab ich ihm zu bedenken, »kannst sie ja nicht ausstehen, du hast sogar gesagt, wenn sie endlich einmal krepieren wollte, würdest du zu ihrer Beerdigung gehen, bloß um die Gelegenheit zu haben, Beifall zu klatschen, wenn der Sarg aus der Kirche getragen wird.«
Migliarini nickte mit seinem zweideutigen Lächeln.
»Jedes Mal, wenn du ihr begegnest«, erinnerte ich ihn, »erkundigst du dich doch galant bei ihr, was ihre Knötchen in der Brust machen.«
Migliarini keckerte gutmütig.
»Ich weiß nicht, woher dieser Dauerkonflikt zwischen euch rührt«, sagte ich, »ob sie dir irgendeine politische Schweinerei angetan hat oder warum sonst du ihr am liebsten die Haut abziehen würdest.«
»Welche Haut denn, Slucca«, korrigierte mich Migliarini. »Die Minima hat keine Haut, die hat Schuppen. Aber davon abgesehen«, fuhr er mit einem Seufzer fort, »davon abgesehen, Slucca, hat die Malvolio eben doch einen gewissen politischen Einfluss, und ich muss ihr etwas signalisieren.«
»Aber entschuldige mal, warum soll denn ich das signalisieren? Schick ihr doch ein Fax oder ruf sie eben an!«
Migliarini wedelte mir mit der Hand vor den Augen herum und senkte die Stimme: »Wo lebst du eigentlich, Slucca, wo lebst du? Alle meine normalen Kommunikationskanäle, ich sage: alle, werden doch systematisch abgefangen und abgehört. Tag und Nacht.«
»Aber meine nicht, komm einfach zu mir nach Hause und ruf von dort an, benutze mein Fax, Vasone ist ja nie da, der ist immer in Montecitorio. Er behauptet, das Parlament habe nie was zu sagen und betone das unablässig. Seiner Meinung nach ist das so entspannend.«
Migliarini zischte angewidert: »Slucca, du machst dir nicht klar, dass du ein Nahestehender bist.«
»Ein Nahestehender von wem?«
»Von mir, Slucca, von mir! Und daher stehst auch du unter Überwachung, auch deine Kommunikation wird sämtlich abgefangen und aufgezeichnet.«
Ob das nun stimmt oder nicht, betroffen bin ich jedenfalls. Er sah sich inzwischen vorsichtig um, eine Mama, die einen Doppelkinderwagen mit Zwillingen schob, ging vorüber, ein paar fotografierende Japaner trabten vorbei. Das konnte sehr wohl eine Inszenierung sein. Diese Idee, überwacht zu werden, ist Migliarini nach dem Ermittlungsbescheid und dem langen Gespräch mit dem Ermittlungsbeauftragten gekommen. Er hat sich darauf von einem Freund seine Wohnung »säubern« lassen, einem Exagenten des Geheimdiensts, den es derartig aus der Bahn geworfen hat (wie der sarkastische Vasone behauptet), dass er alle Einbahnstraßen Roms in verkehrter Richtung befährt und stapelweise Strafzettel kriegt. Der Säuberer hat nichts gefunden, aber Migliarini ist weiterhin ganz sicher, überall - im Toaster, im elektrischen Rasierapparat -von Wanzen umgeben zu sein, und wenn ich ihn besuche, legt er, bevor er zu sprechen anfängt, immer den Bolero von Ravel auf, Lautsprecher auf Maximum.
»Also gut«, sage ich, »aber was soll ich ihr bringen, einen Brief, eine Postkarte, einen Zettel? Was soll ich ihr sagen, was soll ich ihr denn signalisieren?«
»Nichts«, sagt Migliarini, »das Signal bist du selbst.«
»Was für ein Signal denn?« frage ich und betaste zweifelnd meine Armmuskeln. »Doch nicht ein starkes?«
Denn unter uns Politikern werden auch schwache Signale ausgetauscht, transversale Signale, nicht entzifferbare Signale, Signale des Bruchs, der Krise, der Auflösung, die Auswahl ist groß.
»Du brauchst überhaupt nichts zu tun oder zu sagen, Slucca. Du bist einfach nur beim Stapellauf anwesend. Sie wird schon verstehen.«
»Aber wenn sie mich fragt?«
»Sie wird vollauf mit dieser Sektflasche beschäftigt sein, sie wird dich nicht einmal ansprechen. Mach dir keine Gedanken, fahr ruhig, Slucca, im Grunde musst du nur du selbst sein.«
Und so bin ich hingefahren. Mit dem Zug, weil mein Fiat Croma Baujahr '92 von Seiten des Motors und einer Koalition anderer Teile äußerst
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