Der unsichtbare Zweite
wankelmütig, Slucca, die Masse ist launisch. Wenn der Redner ...«
»Aber ich bin nicht Antonius, ich bin kein Redner! Die schönsten Augenblicke meines parlamentarischen Lebens sind die, wenn ich im Plenarsaal bei der Abstimmung einfach nur sagen muss: Ich enthalte mich !«
Migliarini musterte mich nachdenklich, schweigend.
»Ich weiß, Slucca, ich weiß, du hast deine Grenzen, wie wir alle. Ich selbst bin auch kein Redner, ich reiße nicht mit, ich entflamme nicht; wenn man dich eines Tages auf der Spanischen Treppe erdolchen würde, hätte ich echte Schwierigkeiten, zu deinem Gedächtnis zu sprechen, das gebe ich zu. Aber du operierst in direktem Kontakt zum Volk, zur Gesellschaft, du kannst dir nicht erlauben, dermaßen die Kunst der Konsensherstellung zu ignorieren. Cicero hätte sich nie von einer schlechtgewordenen Bechamelsoße aus dem römischen Senat jagen lassen.«
»Aber am Schluss hat er sich den Kopf abschneiden lassen, mit allem Respekt gesagt, oder etwa nicht?«
»Niemand verlangt so viel von dir, Slucca, und außerdem fehlen heute die objektiven Voraussetzungen für so etwas.«
»Gott sei Dank.«
»Aber du kannst besser werden, Slucca, du kannst wenigstens die Rudimente der Massenpsychologie erlernen: Wie man mit der Menge kommuniziert, wie man in einem vollen Saal seine Persönlichkeit durchsetzt, wie man, zum Beispiel, einem Stadion den Konsens entreißt. Mit dem Fernsehen, das dafür das ideale Vehikel wäre, stehst du nicht gerade auf gutem Fuß, das wissen wir, aber ...«
Im vorigen Jahr hatte er einmal wegen eines plötzlichen Grippeanfalls mit hohem Fieber das Bett hüten müssen und deshalb im letzten Augenblick mich geschickt, um ihn bei einer Talkshow über das Problem der Reformen zu vertreten. Für mich war es das erste Mal, und ich fühlte mich ziemlich unwohl. Außer mir waren in dieser Runde Onorevole Bazzecca, Experte für institutionelle Probleme, Onorevole Fabiocchi, Experte für konstitutionelle Probleme, Onorevole Diton, Experte für allgemeine Probleme, ein Journalist, eine blinde Hausfrau, der Großvater eines Drogenabhängigen und ein Exmittelstürmer des FC Parma, alles Leute, die sich auskannten, die redeten wie geschmiert, die präzisierten, erwiderten, voraussetzten, ihrer Hoffnung Ausdruck gaben, Statistiken verlasen. Gemeinsam hatten sie eine Formel, die mein Untergang werden sollte. »Das ist nicht das Problem, in Wirklichkeit liegt das Problem anderswo«, sagten sie alle zur Eröffnung und am Schluss ihrer Beiträge. Ich strengte mich gewaltig an, mitzubekommen, welches das Problem nun eigentlich war, das von Beitrag zu Beitrag immer wieder anderswo lag, aber die starken Scheinwerfer, die Hitze, der unbequeme Sessel, die durcheinandergehenden Stimmen setzten mir zu und machten mich etwas benommen.
Als der Moderator sich schließlich an mich wandte, sagte auch ich, um auf Nummer Sicher zu gehen, sofort, dass das nicht das Problem sei, dass in einer wirklich demokratischen Gesellschaft jede gesellschaftliche Gruppe ohne Ausnahme Anspruch auf eine Vertretung auf kommunaler und regionaler Ebene habe und bei den Plänen der urbanistischen Entwicklung, den großen kommerziellen Projekten und sogar auch bei der Gestaltung des Lehrplans in den Schulen zur Mitsprache herangezogen werden müsse. Kurz, ich gab der Hoffnung auf volle konzertierte Zusammenarbeit Ausdruck, auf flächendeckende Mitwirkung.
Darauf folgte jenes mir leider nur allzu bekannte Schweigen, das entsetzte Ungläubigkeit anzeigt. Der Moderator fasste sich als erster wieder. »Aber dann, Onorevole Slucca«, zischte er mit zusammengekniffenem Mund wie bei gewissen Vertrauensvoten, »dann schlagen Sie im Grunde die volle Mitwirkung der Mafia an der Verwaltung des nationalen Territoriums vor!«
Ich war drei Probleme zurück. Ich hatte gedacht, die Diskussion ginge noch um illegale Einwanderer, um ausgegrenzte ethnische Minoritäten, um arbeitende Mütter, und dabei waren sie inzwischen, von einem anderswo liegenden Problem zum nächsten, beim Problem Mafia angekommen. Ich versuchte, das Missverständnis aufzuklären, aber das Unglück war passiert, und der Moderator gab mir in der verbleibenden Sendezeit (zwei Stunden) nicht mehr das Wort. Am Schluss verließen alle Teilnehmer auf merkwürdigen Umwegen das Studio, nur um mich zu meiden.
Migliarini reagierte sehr verständnisvoll, muss ich sagen. »Sogar mir, Slucca, sind schon Versehen im Fernsehen passiert. Einmal bei einer Talkshow über
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