Der unsichtbare Zweite
für die Falstaff-Premiere in der Scala.«
»Du meine Güte, den bekäme ich nicht einmal für das Krippenspiel in einem Priesterkolleg!«
Frau Doktor meditierte ihrer Nase entlang. Oben krachte und klirrte es wieder zweimal, diese Spiegelfechter mussten die reinsten Elefanten im Porzellanladen sein.
»Für mich ist das völlig klar«, schloss Frau Doktor. »Sie haben ein Vertrauensdefizit in Ihren Namen. Wir müssen am Namen arbeiten.«
»Aber den kann ich doch nicht ändern! Und zudem habe ich mich an Slucca gewöhnt, ich achte gar nicht mehr darauf.«
»Aber Sie müssen auf ihn achten, Sie müssen lernen, ihn mit hocherhobenem Kopf zu tragen, als wäre er ein Banner, ein Schwert. Eines Tages stellen Sie sich ans Ufer des Roten Meers, rufen Ihren Namen, und die Wasser teilen sich, damit Sie hindurch schreiten können. Das ist Ihr target.«
»Aber auch eine Pfütze wäre für mich als target schon zu ...«
»Moses ist ein Spezialfall, das ist klar. Doch hier handelt es sich einfach darum, eine Tendenz zu invertieren, und ich darf sagen, was das Invertieren von Tendenzen angeht, habe ich schon weit komplexere Fälle gelöst als Ihren, Onorevole.«
Ich erinnerte mich an den Fall von Senator Castagneris mit seiner krankhaften, unschicklichen Manie, ständig und auf fast erotische Weise an seiner Pfeife herumzuspielen. Der Danieli war es nach verschiedenen Versuchen in anderen Richtungen gelungen, ihn auf seinen Pimmel umzuleiten, so dass Castagneris jetzt ganz ruhig mit den Händen im Schoß auf seinem Sitz saß und nur ab und zu die Linke (er ist Linkshänder) in seiner Hosentasche verschwinden ließ, um sich unauffällig, ohne den Senat der Republik zu stören, einer mehr als diskreten Herumspielerei zu widmen.
Und als die Frau Doktor mich am Arm nahm und zu einem kleinen schwarzen Ledersofa vor das in ein Bücherregal eingelassene Fernsehgerät führte, kam mir durch Gedankenassoziation ein schrecklicher Verdacht: Du wirst sehen, die zeigt dir jetzt einen Pornofilm, um dein Überwältigungsdefizit zu prüfen. Ich spürte die Bemühungen meines sowieso schon kleinen Prinzen, sich zurückzuziehen, völlig in der Bauchhöhle zu verschwinden. Aber zum Glück war es dann nur ein didaktisches Video, eine Montage verschiedener Filmstreifen.
»Zuerst einmal frischen wir kurz die Erinnerung an die großen Klassiker des Konsens auf«, sagte die Danieli ermutigend.
Und los ging's mit den großen Klassikern. Man sah eine riesige Menschenmenge in Schwarzweiß, die stumm Kaiser Wilhelm IL zujubelte. Dann kam eine weitere riesige und stumme Menge, die einem General zujubelte. Darauf, auch er mit seiner riesigen Menge, Lenin. Dann ein Papst, der Platz vor dem Petersdom gedrängt voller Zujubler. Ich blieb skeptisch, der Gap war zu groß, es war, als würde einem die Ilias als Vorlage empfohlen, wenn man eine Beschwerde an die Telephongesellschaft schreiben muss.
»Immer wieder beeindruckend, diese Momente, nicht wahr«, kommentierte Frau Doktor.
»Ja, aber solche Momente sind etliche Nummern zu groß für mich, dazu habe ich nicht das Potential«, widersprach ich.
»Und doch«, sagte sie, »ist an einem gewissen Punkt seines Lebens jeder dieser Männer ein Slucca gewesen, Onorevole.«
»Aber ich muss inzwischen längst über diesen Punkt hinaus sein.«
Es kamen weitere Klassiker, mit Ton. Eine riesige weißgekleidete Menge jubelte Gandhi zu. Man sah Stalin mit erhobener Hand, wie er seine Menge grüßte. Und natürlich Mussolini, der seine Menge auf der Piazza Venezia grüßte. Und Hitler nachts, in einem von gleißenden Scheinwerfern erleuchteten Stadion, der seinen ohrenbetäubenden Megakonsens genoss.
Ich blieb zurückhaltend, schüttelte den Kopf. »Das ist nichts für mich, Frau Doktor, das hat überhaupt nichts mit mir zu tun!«
Ich musste schreien, um den Lärm zu übertönen.
»Konsense dieser Art«, schrie auch sie, »sind für niemanden mehr erreichbar, jedenfalls zur Zeit nicht! Ich gebe Ihnen doch nur ein paar charismatische Bezugspunkte!«
»Mir ist aber unwohl beim Charisma!«
Ich sah Hitler mit unendlich geringem Neid zu, ich dachte an meine mit Bechamelsoße bewaffnete pois-sarde.
»Lassen Sie sich nicht entmutigen, Onorevole!« schrie die Danieli. »Es ist wahr, es gibt heutzutage viele Konsensdefizite, und es wird immer neue und immer stärkere, immer unbezwingbarere geben. Aber ...« Sie stellte den Ton leiser. »Aber am Ende wird aus allen diesen Konsensdefiziten wieder eine
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