Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Fruttero
Vom Netzwerk:
Aktentasche zuschnappen und ging davon, ohne Beatrice oder mich zu grüßen. Die Rechnung zahlte ich.
    »Wenn sie doch wenigstens nicht schreiben würden«, seufzte Beatrice vor der Tür des Caffe Greco.
    »Es sind nicht alle so«, sagte ich, »viele schreiben bloß Leserbriefe an die Zeitungen, um etwas richtigzustellen.«
    »Aber da sind auch die mit ihren Gedichten«, sagte sie. »Und wenn ich daran denke, dass für den Druck der Gedichte eines Parlamentariers die Erde jedes Mal wieder einen hohen, herrlichen Baum verliert ...«
    Sie sah mich traurig an, die Schultern von Zentnern von Zellulose niedergedrückt. Ich wusste darauf nichts zu sagen und sagte: »Ja, ja, tout se tient.«
    Später hüpfte Vasone vor Wonne auf einem Bein um den Küchentisch herum. »Der Hurensohn gegen den Eurogehörnten! Die Herausforderung des Jahrhunderts!«
    Doch dann gab es überhaupt keine Herausforderung, die Veröffentlichung von Pellegattis Buch ist ihm von seiner Frau untersagt worden (sie steht den höchsten europäischen Institutionen nahe, inklusive Nato und Den Haager Gerichtshof), und Migliarini hat sich nach dem Verlust des Anreizes zur pornocompetition abgeregt und arbeitet jetzt an einer völlig neuen Umstrukturierung seines Romans; es werden Gedanken, Aphorismen, Maximen philosophischer und spiritualistischer Natur sein, mit einem aufmerksamen Seitenblick auf die orientalischen Religionen. Ich werde nichts damit zu tun haben.
    »Ich glaube nicht, dass ich dich dabei brauche, Slucca«, teilte er mir mit. »Als Durchschnittsdenker überzeugst du mich nicht, und außerdem hast du nie verstanden, dass ich tief im Innern immer ein Moralist war und sein werde, sehr viel näher Pascal als de Sade, kannst du mir folgen?«
    Jedenfalls hat weder der eine noch der andere je an den Tischchen des Caffe Greco gesessen.

DAS SPIEL IST AUS, SLUCCA
    DEMNÄCHST STAND WIEDER eine streng geheime Versammlung der Eigentlichen Mächte bevor, das hatte Migliarini über gewisse streng geheime Nachrichtenkanäle erfahren; und infolgedessen musste ich mir einen Schnurrbart wachsen lassen.
    Diese Sache mit den Eigentlichen Mächten ist ein bisschen wie die mit den Werten, niemand zieht in Zweifel, dass es sie gibt, aber man weiß nicht genau, wie man sie definieren soll, wo sie anfangen und wo sie aufhören. Ganz abgesehen davon, dass sie, die Eigentlichen Mächte, immer leugnen, das zu sein. »Wie! Ich eine Eigentliche Macht? Ach du meine Güte«, sagen sie zum Fernsehreporter, wenn sie stirnrunzelnd aus einer Bank herauskommen oder frohgestimmt ein sahnefarbenes Schloss betreten. Sie nehmen an Workshops teil, an Seminaren und informellen Treffen in einer Villa an irgendeinem See, in Venedig, in einem Schweizer Kurort: keine Geheimnisse, alles im Licht der Öffentlichkeit, ganz ruhig treten sie auf, nonchalant, der Daumen lugt aus der Jackentasche.
    »Also«, fragt der Fernsehreporter, »von welchen Problemen haben Sie gesprochen, was für Entscheidungen wurden getroffen?«
    »Nein, hören Sie«, sagt der Betreffende, »das Thema des Seminars war Virtualität und Vitalität im globalen Austausch, es gab keinerlei Entscheidungen zu treffen.«
    »Aber Sie sind doch, wie es heißt, die Eigentlichen Mächte, nicht wahr?« Der Reporter mit einschmeichelndem Lächeln lässt nicht locker.
    »Schön wär's«, sagt der Betreffende mit einem bitteren Zug um den Mund und lässt den Blick über die anderen Seminarteilnehmer schweifen, die sich zwischen den Rhododendronbüschen ergehen.
    Sie leugnen in gutem Glauben, oder jedenfalls fast. Zwischen den Rhododendron- und Myrtensträuchern sieht man nämlich auch Nicht Ganz So Eigentliche Mächte und Völlig Uneigentliche Mächte herumwandern, die man extra eingeladen hat, um ihnen ein paar Rosinen in den Kopf zu setzen und Verwirrung zu stiften. Selbst Migliarini hat schon an zwei oder drei dieser Tagungen teilgenommen, und er war danach ziemlich durcheinander. »Das ist alles nur zur Tarnung, Slucca«, sagte er, »da wird einem nur Sand in die Augen gestreut. Dort treffen die ihre Entscheidungen nicht. Sie haben sich schon vorher abgesprochen, oder es genügt ein halbes Wörtchen, das während eines coffee-break fallengelassen wird, um das wirkliche Treffen zu vereinbaren, das ganz exklusive, streng geheime, an irgendeinem anderen Ort, auf den du nie kommen würdest.«
    »In New York? In Frankfurt? Auf einem Golfplatz?«
    »Aber nein doch, die sind viel raffinierter. Sie wählen völlig unverdächtige Orte

Weitere Kostenlose Bücher