Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Fruttero
Vom Netzwerk:
den Punkt nicht«, sagte er.
    »Ah, also«, sprach ich weiter, »zur Zeit der Bordelle wechselten doch die ... wechselte das weibliche Personal doch regelmäßig von Stadt zu Stadt, im Turnus von vierzehn Tagen.«
    »Ja, sicher, das weiß ich, die Vierzehntageschicht hieß das doch. Zwei Wochen in Pisa, dann in Venedig, dann in Rom, dann in Turin, in Neapel. Die waren immer auf Rei...«
    Er brach ab, wurde feuerrot, dann leichenblass, Lord Byron in seinen Augenblicken höchsten Spleens.
    »Neeein ...«, murmelte er entsetzt. Und dann: »Nein! Nein! Nein!«
    Wir gaben kein Tönchen von uns: Wir respektierten seinen schmerzlichen Gang zurück in die Erinnerung, in einem verheerenden flashback bis zu den Hühnerexkrementen.
    »Aber dann ...«, ächzte er, »aber dann, wenn tout se tient, würde ich mich ja objektiv als Bastard und Hurensohn herausstellen, als gemeiner sadistischer Spanner, Dieb und doppelseitiger Spion! Wirkt es, alles zusammengefasst, so?«
    »Das ist natürlich sehr verknappt«, versuchte ich den Stoß etwas abzufangen, »aber, äußerst verschärft gesehen, könnte ...«
    »Schweig, Slucca. Ein bisschen menschliche Rücksichtnahme, bitte.«
    Er hatte Tränen in den Augen, ob echte oder gespielte, war nicht zu sagen. In so einem Zustand hatte ich ihn nicht mehr gesehen, seit er als Vorsitzender der Staatskommission für den Winterschlussverkauf hatte zurücktreten müssen.
    »Wie viel Bosheit gibt es doch auf der Welt«, murmelte er leise. »Bosheit und Missgunst und Verleumdung. Wie kann man auf meiner Lebensgeschichte ein solches Lügengebäude errichten, Slucca?«
    »Aber das ist doch gar nicht deine Lebensgeschichte«, versuchte ich ihn zu trösten. »Das ist nicht deine Autobiographie, es ist alles transponiert, sublimiert. Du zum Beispiel hast doch nie einen Fuß in die Scuola Normale von Pisa gesetzt, dein Vater war Kellner in Lugano, deine Mutter ...«
    »Kein Wort über meine Mutter, Slucca!«
    »Und jedenfalls«, hauchte Beatrice, »ist das Buch noch nicht erschienen, man könnte eine bestimmte Anzahl von Abänderungen vornehmen, ganz vorsichtig feilen, wenn nicht überhaupt das Ganze umstrukturieren ...«
    »Ich strukturiere nichts um, ich werfe doch dieses Gemälde eines vergangenen Italien nicht weg, das zwar nicht mehr existiert, aber an das alle Italiener, besonders heute, wo wir in Europa ... Wer ist denn der da?«
    Der hagere, triste junge Mann war aus dem angrenzenden Raum aufgetaucht, er trug eine Leinentasche und grüßte Beatrice im Vorbeigehen mit einer Kinnbewegung.
    »Das ist Cerci, ein Kollege«, sagte der (oder die?) editor, und grüßte mit einer Handbewegung zurück. »Er ist in einem anderen Verlag, wo er die gleiche Arbeit macht wie ich.«
    Hinter diesem Cerci kam jedoch, mit einem Übernachtungsköfferchen aus schönem rötlichem Leder, Onorevole Pellegatti.
    »Aber das ist doch Pellegatti«, sagte Migliarini. »Was hat denn der hier gemacht?«
    »Er hat mit meinem Kollegen die Druckfahnen seines Buchs durchgesehen.«
    »Ah, ein Buch, hat er ein Buch geschrieben?«
    »So scheint es.«
    »Ein Buch von Pellegatti, schau, schau ...«
    Sein Ton war eine fragile Koalition von spöttischem Hohn und lähmender Angst.
    »Er hat den Kopf weggedreht, um mich nicht zu sehen.« Die Angst überwog. »Hast du etwas davon gewusst, Slucca?«
    »Nein.«
    Nun überwog der Hohn, Migliarini prustete giftig. »Wenn er die Eskapaden seiner Frau erzählt, wird es ein todsicherer Bestseller: Die Memoiren eines Euro-gehörnten.«
    Onorevole Pellegatti war ein Abgeordneter des Europaparlaments, der - hieß es - zwischen Brüssel, Straßburg, Frankfurt und anderen europäischen Machtzentren ein einstimmiges Quorum von Hörnern zusammengebracht hatte.
    »Nun, mehr oder weniger«, wisperte Beatrice, »soll er genau das gemacht haben, hat mir Cerci erzählt. Es ist ein ziemlich transgressiver Roman mit starkem erotischem Gehalt. Cerci hat fünfzehn sehr gewagte Situationen gezählt und achtzehn Beschreibungen, die nichts mehr der Phantasie überlassen.«
    »Nein, das ist doch eine Schande«, zischte Migliarini. »Das ist Ausbeutung der Prostitution, moralisch, wenn nicht technisch gesehen. Das Buch müsste auch unter ihrem Namen erscheinen, findest du nicht, Slucca? Und die Nutte müsste fünfzig Prozent des Gewinns einstreichen, falls es Gewinn macht.«
    »Sein Verleger glaubt das ganz fest«, sagte Beatrice. »Es ist eine erste Auflage von sechzigtausend vorgesehen, eine große Werbekampagne

Weitere Kostenlose Bücher