Der unteleportierte Mann
aber geradezu auf. Zusätzlich
zur Urfassung bringen wir daher im Anhang eine erweiterte Synopse der
revidierten Fassung, d. h. eine Übersicht über den von Dick
geplanten neuen Handlungsverlauf des Romans, ergänzt um die an den
entsprechenden Stellen eingefügten zusätzlichen
Manuskriptseiten Dicks. Auf diese Weise kann sich der Leser nicht nur
selbst eine Meinung darüber bilden, welche der beiden Fassungen
vorzuziehen ist, sondern er erhält auch einen faszinierenden
Einblick in die Werkstatt eines der größten SF-Autoren des
zwanzigsten Jahrhunderts, dessen Werk gelesen werden wird, solange es
überhaupt eine Science Fiction gibt.
Science Fiction-Redaktion Bastei-Lübbe
Der unteleportierte Mann
Über Rachmael ben Applebaums Kopf schwebte
ein Gläubiger- Strahlballon, und aus seinem Artikulationskreis
dröhnte eine flache, aber wohlklingende, maskuline — und
doch künstliche — Stimme, die so verstärkt war,
daß nicht nur Rachmael, sondern auch alle anderen Passanten, die
sich auf den Fußgängerrollsteigen drängten, sie
vernahmen. Dafür eben war die Verstärkung da; man wurde
ausgesondert und zugleich an den Pranger gestellt; die öffentliche
Lächerlichkeit, der Spott der allgegen- wärtigen Menge wurden
gezielt zu einer Wirkkraft gemacht, die gegen einen arbeitete . . . und
das, dachte Rachmael, für den Gläubiger kostenlos.
»Mr. Applebaum!« Die energische, volltönende, aber
maschinell erzeugte Stimme hallte, brauste und dröhnte, und
tausend Köpfe drehten sich erwartungsvoll, blickten mit
amüsierter Neugier auf, sahen den Gläubiger-Strahlballon und
erspähten auch sein Opfer: Rachmael ben Applebaum, der versuchte,
von dem Parkplatz, wo er seinen Flapser abgestellt hatte, herunter und
in die Büros der Lies Incorporated zu gelangen, eine Entfernung
von kaum zweitausend Schritten — aber lang genug, um ihn so
deutlich sichtbar zu machen, daß er zum Ziel des
Gläubigerballons wurde.
»Schon gut«, knirschte Rachmael und stürmte mit langen
Schritten weiter, ohne aus dem Tritt zu kommen; er eilte auf den
fluoronerleuchteten Eingang der privaten Polizeiagentur zu und schaute
nicht auf; er gab vor - als ob das möglich gewesen wäre
—, einen Anblick zu ignorieren, den er in den vergangenen drei
Jahren auf das genaueste kennengelernt hatte.
»Mr. Applebaum«, dröhnte der Ballon. »Mit Datum
vom heutigen Mittwoch, dem 8. November 2014, schulden Sie als Erbe der
Vermögenswerte und Zahlungsverpflichtungen Ihres verstorbenen
Vaters der Auf Hoffmanns Spuren GmbH, einem der größten
Wechselbürgen ebselben Vaters, die Summe von vier Millionen
Poscreds . . .«
»Schon gut!« sagte Rachmael heftig, während er
stehenblieb und in hilfloser Qual nach oben blickte. Das
Bedürfnis, den Ballon anzustechen, die Luft aus ihm herauszulassen
und ihn zum Absturz zu bringen, war übermächtig — aber
was konnte er schon tun? Aufgrund eines Dekrets der Vereinten Nationen
durfte jeder Gläubiger einen solchen Quälgeist mieten; das,
was hier geschah, war völlig legal.
Und die feixende Menge wußte das. Sah darin für sich eine
kurze, aber unterhaltsame Amü-Show: eine Volksbelustigung. Er
machte ihnen nicht einmal einen Vorwurf daraus; es war nicht ihr
Fehler, da sie im Laufe der Jahre dazu erzogen worden waren.
Sämtliche Info- und Erziehungsmedien, die vom
»uneigennützigen« Büro für öffentliche
Angelegenheiten der UN kontrolliert wurden, hatten an dieser Facette
des vielschichti- gen Charakters des modernen Menschen
herummanipuliert: seiner Fähigkeit, das Leiden eines anderen zu
genießen, den er nicht einmal kannte.
»Ich kann nicht bezahlen«, sagte Rachmael. »Und das
weißt du.« Über ihm vernahm es der Strahlballon; er
hatte höchst erstaunliche Tonrezeptoren. Aber er glaubte ihm nicht
und scherte sich auch nicht darum, ob das, was Rachmael sagte, der
Wahrheit entsprach; seine Aufgabe war es, ihn aufzuspüren und zu
jagen, nicht, die Wahrheit zu ergründen. Auf dem Rollsteig
stehend, während dieser ihn automatisch weitertrug, sagte Rachmael
so vernünftig wie möglich: »Im Augenblick verfüge
ich über keinerlei Mittel, weil ich bisher vollauf damit
beschäftigt war, einen nach dem anderen so viele Gläubiger
der Applebaum-Unternehmensgruppe auszuzahlten, wie ich eben
konnte.«
Höhnisch dröhnte die mechanische Stimme von droben: »Zu
drei Sigs je Poscred. Schönes Schuldenbegleichen!«
Rachmael sagte: »Laß mir Zeit.«
»Pläne, Mr. Applebaum?« Die Stimme überschlug sich vor
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