Der Untergang der Shaido
wieder einfallen oder auch nicht. Es konnte nicht wichtig sein. »Aus kleinen Hoffnungen können überraschende Früchte erwachsen, Nisao. Das ist in Far Madding ein altes Sprichwort, und es stimmt. Führt Eure Untersuchung weiter. In Egwenes Abwesenheit dürft Ihr Eure Erkenntnisse mir mitteilen.«
Nisao blinzelte, und kurz spannte sich ihr Mund an, aber ob es ihr nun gefiel, Romanda Bericht zu erstatten, oder nicht, es blieb ihr wenig anderes übrig, als zu gehorchen. Sie konnte kaum behaupten, dass man sich in ihre Angelegenheiten einmischte. Mord konnte nicht allein die Angelegenheit einer Schwester sein. Davon abgesehen, Magla hatte vielleicht ihre lächerliche Wahl für die dritte Sitzende der Gelben durchgesetzt, aber Romanda hatte sich die Position der Ersten Weberin mühelos gesichert. Schließlich war sie vor ihrem Ruhestand die Anführerin der Gelben gewesen, und selbst Magla war nicht bereit gewesen, sich gegen sie zu stellen. Die Position verlieh bedeutend weniger Macht, als ihr lieb war, aber wenigstens konnte sie sich in den meisten Fällen auf den Gehorsam der anderen Gelben Schwestern verlassen, wenn schon nicht auf den der Sitzenden.
Als Nisao ihre Abschirmung gegen Lauscher aufknüpfte und sich auflösen ließ, trat Theodrin ins Zelt. Sie trug ihre Stola über Schultern und Arme gelegt, sodass die langen Fransen sofort ins Auge fielen. Das taten viele frisch erhobene Schwestern. Die sehnige Domani hatte das Braun gewählt, nachdem Egwene ihr die Stola zugebilligt hatte, aber die Braunen hatten nicht gewusst, was sie mit ihr anfangen sollten, obwohl sie sie schließlich aufgenommen hatten. Anscheinend waren sie bereit gewesen, sie größtenteils zu ignorieren, genau die falsche Entscheidung, also hatte sich Romanda ihrer angenommen. Theodrin versuchte sich zu verhalten wie eine richtige Aes Sedai, aber sie war ein kluges, vernünftiges Mädchen. Sie breitete die braunen Wollröcke für einen Knicks aus. Einen kleinen Knicks, aber immerhin einen Knicks. Sie war sich durchaus bewusst, dass sie eigentlich vor ihrer bestandenen Prüfung kein Recht auf ihre Stola hatte. Es wäre grausam gewesen, nicht dafür zu sorgen, dass ihr das klar war.
»Lelaine hat eine Sitzung des Saals einberufen«, sagte sie atemlos. »Ich konnte den Anlass nicht herausfinden. Ich bin losgerannt, um Euch Bescheid zu geben, aber ich wollte nicht hereinkommen, solange die Abschirmung bestand.«
»Und das war auch richtig so«, sagte Romanda. »Nisao, wenn Ihr mich entschuldigen wollt, ich muss sehen, was Lelaine will.« Sie holte ihre mit gelben Fransen versehene Stola von einer der Truhen, die ihre Garderobe enthielten, drapierte sie über ihren Armen und überprüfte die Frisur in dem gesprungenen Spiegel, bevor sie die anderen herausdrängte und ihrer Wege schickte. Es war nicht so, dass sie glaubte, Nisao würde nach der Ursache des dumpfen Aufpralls suchen, falls sie das Zelt allein verließ, aber es war besser, kein Risiko einzugehen. Aelmara würde das Buch dort verstauen, wo es hingehörte, zu den diversen ähnlichen Bänden in der Truhe, in der sich Romandas persönliche Besitztümer befanden. Die wies ein sehr stabiles Schloss mit nur zwei Schlüsseln auf, von denen der eine in ihrer Gürteltasche und der andere in Aelmaras ruhte.
Der Morgen war kühl, aber der Frühling war plötzlich eing etroffen. Die dunklen Wolken, die sich hinter dem zerschmetterten Gipfel des Drachenbergs zusammenballten, würden eher Regen statt Schnee bringen, aber hoffentlich nicht im Lager. Viele Zelte waren undicht, und die Lagerstraßen hatten sich bereits in Morast verwandelt. Pferdekarren, die ihre Lieferungen brachten, verspritzten Schlamm von ihren hohen Rädern, während sie neue Spuren machten; sie wurden größtenteils von Frauen gelenkt und ein paar grauh aarigen Männern. Für Männer war der Zugang ins Lager der Aes Sedai nun streng begrenzt. Trotzdem war fast jede der Schwestern, die sie die unebenen Holzstege entlangrauschen sah, in das Licht Saidars gehüllt und wurde von ihrem Behüter begleitet, sofern sie einen hatte. Romanda weigerte sich, die Quelle zu umarmen, wenn sie hinausging - jemand musste ja in einem Lager nervöser Schwestern ein Beispiel für das angebrachte Benehmen geben -, aber sie war sich des Mangels sehr bewusst. Genau wie des fehlenden Behüters. Es war ja schön und gut, die meisten Männer aus dem Lager fernzuhalten, aber ein Mörder würde sich kaum davon abhalten lassen.
Voraus ritt Gareth Bryne
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