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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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ließe sich ein wenig nachhelfen, und dann…«
    »Das bedeutet Einmischung«, sagte Carlos bestimmt. »Und ich denke, das halten wir für amoralisch!«
    Bruno nickte. »Es wäre die Frage, Carlos, ob das gilt, wenn wir auf – unsresgleichen stoßen. Wären wir da nicht direkt zur Hilfe verpflichtet…? Immerhin, sie empfangen uns nicht als Götter, sondern in irgend einer Weise noch als Artgenossen. Und so könnte es bleiben, auch für den Fall, daß die Menschen eines Tages die Erde verlassen…«
    »Hm«, brummte ich. Die Argumente mußte ich mir durchdenken.
    »Gehen wir«, sagte Lisa. »In den paar Tagen schaffe ich das alles gar nicht.«
    »Was willst du denn schaffen?« fragte ich mit gerunzelter Stirn.
    »Sie haben viele Kranke und einige Verletzte. Die möchte ich behandeln. Mir scheint, auf dem Gebiet ist eine Lücke in ihrem, na, Sozialwesen. Ich werde ihnen ein paar Grundregeln der Medizin beibringen, Hilfe zur Selbsthilfe sozusagen. – Und vielleicht erfahre ich dabei sogar etwas. Menschen, denen geholfen wird, neigen manchmal zur Gesprächigkeit…«

    Neben einigen Details zum Leben in der Hauptstadt, die übrigens bezeichnenderweise »Ziti« hieß, konnten wir in den wenigen Tagen unseres Aufenthalts zwei wichtige Fragen klären, Fragen, die wir am Morgen des zweiten Tages unseres Aufenthalts aufgeworfen hatten.
    Die Nachkommen der Menschen aus der TELESALT kannten ihr Schiff, aber als solches war es Legende. Für sie war diese Stätte, an der es stand, ein Heiligtum, ein Hort, eine Art Nirwana der Seelen der Altvorderen. Und in bestimmten Abständen pilgerten die rüstigsten unter den Älteren dorthin, um der Ahnen zu gedenken. Wann dieser Zeitpunkt war, konnten wir nicht genau erfahren. Er mochte mit einem astronomischen Ereignis im Zusammenhang stehen. Friedrun hatte die Idee, es könne dieser Zeitraum mit einer Bahnanomalie des Planeten übereinstimmen.
    Ein Zeitraum mußte es deshalb sein, weil zwischen Ziti und dem Schiff gute dreihundert Kilometer und anfangs ein unwegsames Gestrüpp lagen. Nach dem, was wir auf dem »Weg« erfahren hatten durch das Zählen der Jahresringe der abgeschlagenen Bäume, könnte das Ereignis alle vierzehn Jahre eintreten.
    Seit sie über genügend Brennmaterial verfügten, verbrannten sie ihre Toten, übrigens auf Anordnung einer Mutter Nanc, die nach unserer Schätzung vor drei bis vier Generationen gelebt haben müßte und die offensichtlich allerlei progressive Reformen durchgesetzt hatte. Die zweite Erkenntnis hing mit der Beziehung zwischen den Geschlechtern zusammen.
    Im Prinzip waren im Alltag Frau und Mann gleichberechtigt, wenn man von der Administration absah. Im Prinzip gab es keine Diskriminierung der Männer. Im Prinzip!
    Hochzeiten wurden festgelegt. Etwa Gleichaltrige wurden zusammengetan, und da begann das Dilemma meiner Geschlechtsgenossen. Das hatte tatsächlich am genauesten Lisa herausbekommen. Scherzhaft anzüglich berichtete sie uns: »Hochzeit ist nicht im Sinne der Monogamie zu begreifen, und das ›Zusammenstecken‹ ist kein Dogma. Wenn zwei sich von allein finden, wird das ebenfalls akzeptiert, im Regelfall. Will sagen: Familieninteressen sind sekundär. Warum auch sollte es anders sein. Besitz und Eigentum und davon abgeleitetes Machtstreben spielen keine Rolle.
    Aber wenn die Leute erst einmal zusammen sind…«, sagte Lisa bedeutsam. »Die Respektsdame aus dem Hause der Frau, das kann auch die Mutter sein, im allgemeinen aber die Älteste, legt die – ich kann es nicht anders ausdrücken –, die Zeugungstage fest. Sie hängen wohl mit der Menstruationsperiode der Jungvermählten zusammen, und, so geduldig ist man, man wartet fünf Zyklen ab. Gibt es danach keine Anzeichen einer Schwangerschaft, ist der Mann sozusagen weg vom Fenster. Die Holzholer, die wir gestern sahen, setzen sich überwiegend aus solchen zusammen, und sie werden schon als minderwertig angesehen.« »Aber«, warf Inge ein, »so etwas kann mit dem gleichen Häufigkeitsgrad an der Frau liegen!«
    »Wem sagst du das! Aber denk mal an das Patriarchat auf der Erde. Wann wurde da schon einmal ein Mann der Unfruchtbarkeit beschuldigt, hm?«
    Carlos schüttelte mit dem Ausdruck des höchsten Bedenkens den
Kopf.
»Glaubst du das nicht?« fragte Lisa streitlustig.
    »Doch, doch«, beeilte sich Carlos zu versichern. »Ich dachte nur einen Augenblick an den psychischen und in der Folge physischen Druck, dem die armen Kerle ausgesetzt sind. Denn wer will schon gern zum

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