Der Untergang der Telestadt
verunsicherte uns dieser enorme Frauenüberschuß, den wir uns natürlich entstanden nicht vorstellen konnten. Und deshalb auch der Gedanke, es müßten Gesetze wirken, die sich uns noch verbargen.
Friedrun und ich mußten auch nach dem Regenguß Gäste bleiben. Man bot uns noch Essen und Trinken an, und wir versuchten uns in Konversation. Aber die konkrete Rückerinnerung der Leute reichte nicht weit, drei, vier Generationen vielleicht, dann glitt sie in die Legende, ins Phantastische, Mystische gar.
Ähnliche Effekte, so meine Universitätsweisheit, soll es bei den irdischen Naturvölkern, die bis etwa 2050 in Urformen existierten, gegeben haben. Dennoch besteht wohl ein riesiger Unterschied, ob so etwas traditionsverhaftet oder das Ergebnis einer Degeneration ist; denn, so schien mir, auf nichts anderes würde die Entwicklung derer von der TELESALT hinauslaufen. Aber wie konnte es geschehen…?
Was dann folgte, hätte ich schon lieber im Rover abgewickelt, auch wenn es darin für sechs Leute recht eng zugegangen wäre: das Schlafen. Frauen und Männer schliefen getrennt, die Gruppen aber gemeinsam. Das war offenbar keineswegs aus moralischen Erwägungen entstanden, sondern aus solchen der Subordination. Am Haus befand sich nach hinten hinaus ein Anbau, der nur einen Raum mit einer Strohschütte enthielt: der Schlafraum der Männer.
Das gleichgeartete Lager der Frauen befand sich mit im Hauptraum des Hauses, in dem wir bereits den Abend verbracht hatten. Und ehrenhalber durfte ich bei den Frauen schlafen. Da nun plötzlich zwei Personen mehr als gewöhnlich ihrem Ruhebedürfnis frönen wollten, ging es auf der Schütte sehr eng zu, und ich – Friedrun gestand das gleiche ein – war heilfroh, als ich zerschlagen und unausgeschlafen (wozu das überreichliche Festmahl natürlich ebenfalls beigetragen hatte) am heller werdenden Fensterfleck das Nahen des Morgens entdeckte.
Zum Frühstück buk man ein Fladenbrot aus einem Mehl, zu dem man Roggen und eine uns nicht bekannte Körnerfrucht zerstoßen hatte. Es gab eine dicke Flüssigkeit dazu, die am ehesten Honig glich, und in der Tat erklärte man uns, daß es ein durch fliegende Tierchen zusammengetragener Nektar sei. Also mußte es außer diesen gefräßigen Flügelraupen noch andere insektenartige Lebewesen geben. Auf unsere Frage deutete man dorthin, wo sich dem Dschungel die Steppe anschloß. Bejaht wurde auch unsere Frage, ob diese Tiere das ganze Jahr über existierten. Nach dem Frühstück endlich wurde uns bereitwillig Selbstbeschäftigung eingeräumt, die wir sofort dazu nutzten, uns mit den Gefährten zu verständigen. Da bei den anderen offenbar das gleiche Bedürfnis bestand, dauerte es gar nicht lange, bis wir uns alle sechs beim Rover trafen. Wir tauschten schnell unsere Erfahrungen aus, die sich im wesentlichen deckten. Es kam langsam ein etwas detaillierteres Bild der jetzigen Lebensweise unserer Gastgeber zustande, im einzelnen noch lückenhaft zwar, aber wir hatten eine Vorstellung. Das alles empfanden wir als außerordentlich aufregend, und wir brannten darauf, die Ermittlungen fortzusetzen. Und wir wollten systematischer vorgehen.
Es gab dann auch einhelligen, fünffachen Protest, als Bruno verlauten ließ, daß der Aufenthalt auf drei Tage beschränkt sei. Nach einiger Dis kussion gab er noch einen Tag zu, aber weiter ließ er nicht mit sich reden. Er begründete seine Entscheidung damit, weder vier Tage noch vier Monate würden ausreichen, um alles über die Lebensweise dieser merkwürdigen Siedler sicher zu erfahren. Vielleicht wüßte man es in vier Jahren… Freilich, hochinteressant sei das alles. Ein Bild darüber der Erde zu vermitteln wäre höchst erstrebenswert, und man würde dort sicher alle Details erfragen wollen. Das Wichtigere sei aber wohl die Erfüllung des Auftrags, und davon wären wir noch äußerst weit entfernt. Wir hätten bislang einen winzigen Eindruck vom Dschungel, keinen von den Gebirgen, keinen von den Gewässern. Aber was Bruno vor der Erforschung der Lebensweise dieser Menschen als viel wesentlicher erachtete: zu erfahren, weshalb sie so wurden…
Es stehe außer Zweifel, die Talsohle ihrer Rückentwicklung hätten sie durchschritten, sie begännen eine Evolution. Wie aber sind sie in dieses Tal, diese Schlucht geraten? Davon müsse man wenigstens Anhaltspunkte zur Erde bringen, weil sie für weitere Entscheidungsfindungen von größtem Wert seien. Und nach seiner, Brunos, Meinung würde man weder von diesen
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