Der Untergang der Telestadt
Fakt. »Warum ist sie es nicht mehr?« fragte Friedrun.
Die beiden sahen sich an. Muhm An zuckte mit den Schultern. Mary erläuterte: »Mutter An viel in Haus Telsa sein. Aber Haus Telsa ein Haus für Seel.«
Ich tauschte mich kurz mit Friedrun aus. Wenn wir das recht verstanden, stöberte diese An anderen zuviel in der TELESALT herum, die man zur Kultstätte erhoben hatte. Und weil womöglich einfache Kritik nicht fruchtete, wurde An abgesetzt. Die einfachste Methode nach wie vor, Unbequeme oder Untragbare mundtot zu machen, sofern die Machtverteilung dies gestattete.
Muhm An blickte uns durchdringend an. In ihrem Gesicht arbeitete es. Es sah so aus, als taxiere sie uns, als überlege sie, wieweit sie uns trauen konnte.
Plötzlich sprach sie schnell, für uns zu schnell, auf Mary ein. Dann drückte sie dieser den Probenahmestab in die Hand, und Mary setzte die Sisyphusarbeit fort – übrigens längst nicht mit dem Geschick der Alten. Muhm An sagte zu uns: »Komm!«, und sie trippelte schon aus dem Raum, noch bevor wir die neue Situation richtig einordnen konnten. Die Alte legte ein Tempo vor, daß wir durchaus flott hinterhertraben mußten.
Wir sprachen nicht, ich hielt Friedrun an der Hand, und auch ihr sah ich an, sie war außerordentlich gespannt, was uns am Ende dieser Schiffsdurchquerung wohl erwarten würde. Ich versuchte meine Vorstellungen herabzumindern; denn was für diese Menschen wichtig sein konnte, mußte für uns noch lange nicht von Bedeutung sein, aber es gelang mir nur ungenügend, die Erregung zu unterdrücken.
Muhm An trippelte den Weg zurück, über die Querverbindung zum Mitteltrakt, dort den Korridor nach hinten zur Haupttreppe, diese lief sie behend hinauf bis ins oberste Stockwerk, und von dort aus ging es erneut bugwärts.
Dann hielt Muhm An vor einer ganz normalen Tür. Das Erstaunliche aber war: Friedrun und ich pusteten beträchtlich, und Schweißperlen standen auf unseren Gesichtern, während man der Alten den flotten Lauf nicht anmerkte.
An der Tür befand sich das typisierte Schild, wie die meisten vergilbt
und die Schrift vom Schimmel angefressen, aber noch leserlich: »Astro
nom.«
Wir traten ein.
Sofort gewahrten wir an der bugseitigen Wand den Lichtstreifen. Wir richteten unsere Lampen dorthin, aber Muhm An befand sich bereits an dieser Wand, an der wir nun im Lichtschein weiter nichts als eine Anhäufung von Gerümpel wahrnahmen, und ich erinnerte mich – angesichts eines Refraktortubus –, flüchtig bereits in diesen Raum hineingesehen zu haben.
Muhm An kippte eine rechteckige Blechtafel, die dort lehnte, zur Seite, machte damit einen schmalen Durchgang frei, der ehemals mit einer Tür verschlossen war, aber deren Blatt hing jetzt schief in die Öffnung hinein.
Trotz eingeschalteter Lampen gewahrten wir das gedämpfte Licht, das nun in den Raum fiel.
Mit wenigen Schritten befanden wir uns an dieser Tür. Eine steile, kurze Treppe führte nach oben, Blätter und Ranken gewahrte ich dort unter einer gläsernen veralgten Kuppel.
»Aber das ist doch…«, sagte ich, zu Friedrun gewandt. »Das ist im Schema nicht eingezeichnet!«
Friedrun hob die Schultern. »Ich erinnere mich auch nicht…«
Wir stiegen nach oben, und nach wenigen Metern standen wir in einer geräumigen Kuppel, wie sie heute noch in Orbitalstationen zu astronomischen Beobachtungen eingerichtet werden.
Was sofort auffiel: Der Raum zeigte sich völlig überwuchert mit großblättrigen Pflanzen, die aus Keramiktrögen sprossen, wie sie in Laboratorien verwendet werden. Ein beachtlicher, in der Mitte des Raumes montierter Refraktor, nun völlig eingewachsen, bot einen durchaus attraktiven Pflanzenständer.
Und in diesem Raum befanden sich Wohnmöbel, wenn auch arg angefault und verschimmelt, einige technische, verrostete Gerätschaften standen umher, und ein paar Rohre durchzogen ihn. Sie bildeten ebenfalls Stützen für die Pflanzen.
Das schlimmste oder gruseligste aber: Im Winkel, den die Kuppel mit dem Fußboden bildete, rechts von der Treppe, stand ein vermodertes Bett, auf diesem Bett saß mit angezogenen Knien ein Skelett, den Kopf aufgerichtet zur Seite geneigt. Die linke knöcherne Hand hielt auf Schoß und Knien ein Brett, auf dem sich vergilbte Blätter befanden. Die Rechte lag auf dem Bett, daneben ein Stift…
All die Tausende Skelette unten in den Räumen hatten nicht den Ein
druck auf mich gemacht wie dieses eine hier. Friedrun mußte es ebenso ergehen. Sie hauchte: »Oh, Sam«, und
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