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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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unbefriedigende Verhältnis zu Gus und auf dessen Haltung zurückzuführen ist.
    Am Tag 157 dieses Jahres unterrichtete ich Mathematik im alten Klassenraum der Telesalt. Es war die dritte Stunde, aber Lil, die Tochter eines Waldkombiners und einer Laserführerin, stellte sich derart lethargisch an, zeigte sich so penetrant uninteressiert, daß ich alle Selbstbeherrschung zusammennehmen mußte, um die Nerven zu behalten. Ich hatte Lil am großen Display und versuchte, sie auf die funktionellen Zusammenhänge der Neperschen Regel zu bringen. Die Schüler, wenigstens die meisten, hatten den Stoff begriffen, wurden unruhig, was meine Frustration keineswegs milderte.
    Als sich endlich Lils Gesicht aufhellte, ich den Eindruck gewann, meine erzwungene Geduld trage vielleicht doch noch Früchte, plärrte über die Zwangsleitung ein Diensthabender in den Unterricht, daß sich die Schüler sofort nach Ziel begeben und dem Sektorenleiter Mattä für die Ernte der Spritmangrove verfügbar sein sollten.
    Später sagte man mir – selbst fehlte mir jedes Erinnern –, ich hätte heftig gegen den unsichtbaren Störer protestiert, Schimpftiraden verschleudert und sei schließlich in Krämpfen zusammengebrochen.
    Nach vier Wochen fand ich wieder zu mir. Gus kam mit: »Na, Fanny, du machst ja Geschichten!«, und er tat fröhlich und optimistisch, dabei merkte ich noch deutlicher, daß er kaum bei mir war. Er antwortete außerdem zerstreut und oberflächlich auf meine verständlicherweise drängenden Fragen. Aber als er mir sagte, man habe zehn Tage Sonderferien ausgerufen, damit die Großgärprozesse nicht unterbrochen werden müßten, fragte ich nichts mehr. Ich spürte, alles weitere würde ich, so wie ich mich fühlte, nicht verkraften; dennoch ließ er mich in meinem elenden Zustand zurück, ich verfiel ins Grübeln, und am Abend bat ich um ein größeres Quantum Morphal, weil ich Schlaflosigkeit vorausahnte. Besuche bekam ich kaum, nur Grüße und Entschuldigungen ausgerichtet: die Arbeit, die Arbeit…

    Am Tag, als sie mich aus der Klinik entließen – es war ein freundlicher Tag, ab und an blinzelte sogar die Sonne hervor –, fühlte ich mich ein bißchen gespannt zwar, aber im ganzen froh, endlich wieder mittun zu können, denn natürlich plagt einen das Gewissen, wenn das Leben um einen her vor Emsigkeit nur so strotzt.
    Ich staunte auf meinem Gang nach Hause; denn die Schäden des Orkans schienen beseitigt, die Stadt machte einen Eindruck, als sei sie funktionstüchtig.
    In meiner Wohnung – von Gus sah ich natürlich keine Spur, außer daß ich alles noch unordentlicher vorfand, als zu Zeiten, zu denen ich zu Hause war – hielt ich mich nicht lange auf, machte mich auf den Weg zur Schule, die man von der Telesalt in die Stadt zurückverlagert hatte. Unterwegs traf ich eine Kollegin, die sehr erfreut tat, auf konkrete Fragen aber ausweichende Antworten gab. Zufrieden stimmte mich einigermaßen, daß man fast wieder normal unterrichtete, wie sie berichtete. Dann kam der Schock.
    Die Direktorin empfing mich freundlich, reserviert, fragte nach meinem Befinden, drückte Genugtuung aus ob meiner positiven, ehrlichen Antwort. Sie wies nachdrücklich darauf hin, daß die Anforderungen keineswegs geringer geworden seien, und ich hatte bei ihren Tiraden den Eindruck, wenn die Schule nicht an allen Brennpunkten stünde, wäre Neuerde schon längst zusammengebrochen. Meine Frage aber nach den schulischen Leistungen, nach geregeltem Unterricht schien unangebracht, denn statt einer Antwort appellierte sie an mein Verständnis mit einem Unterton, aus dem auch Mitleid klang. Schließlich kam ich aus der psychiatrischen Abteilung unserer Klinik…
    Als ich nach meinem konkreten Wiedereinstieg fragte, erklärte sie mir weitschweifig, aber deutlich, daß man es für richtiger halte, wenn ich noch eine Zeitlang nicht unterrichtete, sondern eine leichtere, nervenschonendere Arbeit übernähme, zumal – durch den verkürzten Unterricht und das Fehlen der zehnten Klasse – ohnehin nicht mehr soviel Lehrkräfte benötigt wurden. Einige, sie zählte ein paar Namen auf, seien freiwillig ausgeschieden, vorübergehend, selbstverständlich.
    Ich faßte das alles nicht sogleich. Mechanisch fragte ich, was es mit der zehnten Klasse auf sich habe.
    Die Schulpflicht sei, der Arbeitskräftelage geschuldet, auf neun Klassen herabgesetzt worden. Ich suchte Gus auf, das heißt, ich wollte ihn aufsuchen.
    Im Rathaus teilte man mir mit, er befinde sich

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