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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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Sendung. Vielmehr erinnerte mich der Abend an unseren ersten gemeinsamen Urlaub in den Masuren; Gus’ Wohnwagen, in dem er in Bergstadt hauste, löste wohl diese Erinnerung aus. Auch damals fuhren wir in einem Caravan, und es war ein glücklicher Urlaub. Und seinerzeit sagten wir uns, es gäbe wohl nichts, was uns hindern könnte, den Versuch zu wagen, Partner und Gefährten und Liebhaber fürs Leben zu werden…
    Auch damals setzte sich heller Sternenhimmel von der schwarzen Waldsilhouette ab, es riefen Tiere im nächtlichen Wald, und auch damals schien es, als seien wir allein auf der Welt.
    Wir begannen den Abend mit einem kleinen Essen aus Gus’ Konserven. Gus, vielleicht spürte er, wie traurig mich seine nachmittägliche Reaktion gemacht hatte, war aufmerksam, bemühte sich um mich. Er hatte aus einem Schubfach eine Kerze hervorgekramt, und es reichte ihm tatsächlich jemand – ich konnte gar nicht erkennen, wer es war, so schnell spielte sich das ab – eine Flasche Wein durch den Türspalt.
    Später überraschte er mich mit einem Recorder und einer Musikkassette mit virtuosen Gitarrensoli leichter Art. Anfangs leierte das Gerät, wir spielten die Kassette immerzu.
    Als ich im Morgengrauen wach wurde, nach Minuten – Stunden? – voll Zärtlichkeit und Leidenschaft und gelöstem Schlaf, glimmte die Kontrolleuchte des Recorders sterbend. Die Batterie hatte ihr Dasein ausgehaucht…
    Gus schlief neben mir. Vorsichtig stützte ich mich auf die Ellenbogen. Ich sah die Falten um seine Augen, die grauen Haare an den Schläfen und den bitteren Zug um den Mund. Ich sah seine zerschundenen Hände, die – obwohl wie Reibeisen – mir vor Stunden noch in liebkosender Berührung die ewig neuen Schauer über den Körper jagten… Das letztemal, dachte ich in diesem Augenblick. Warum ich so dachte, wußte ich nicht. Es war eine Ahnung, aber sie wurde wahr…
    Und das war mir tatsächlich schon in dieser Stunde des Vor-ihm-wachSeins bewußt, nicht erst am Morgen, als der Arbeitstag begann, Gus in den Alltag einstieg, als sei nicht das geringste geschehen. Mit ein paar belanglosen Trostworten half er mir auf einen Transporter, der einige Verletzte geladen hatte, die – obwohl sich ein bewußtloser Schwerverletzter mit auf dem Wagen befand – ausgelassener Stimmung waren, vielleicht, weil sie dieser Opferstätte, wie sie Bergstadt nannten, für eine Weile entgingen.

    Wenige Tage später ereignete sich die Explosion. Ich tat voller Groll die mir zugewiesene Arbeit: stupides Bedienen eines Brotautomaten. Natürlich eine lebenswichtige Tätigkeit, aber eben ein automatisierter Prozeß. Bliebe die Maschinerie stehen, konnte ich ohnehin nichts ausrichten. Außer einigen kleinen Eingriffen, die man mir im Vorübergehen beigebracht hatte, beobachtete ich tatsächlich nur den Steuerschirm und hörte auf das gedämpfte Gebrumm aus dem Maschinensaal. Und ich mußte sofort den Diensthabenden verständigen, wenn eine Störung eintrat. – Auf der Erde soll das alles über den zentralen F-Computer laufen. Soweit aber waren wir auf Neuerde noch lange nicht.
    Gus ließ mir sagen, er bleibe noch zwei Tage in Bergstadt.
    Ich war wirklich am Verzweifeln. Ich fühlte mich verlassen, verstoßen gar, einsam und unverstanden, ich hatte kein Kollektiv, nur diese blöde Maschine, die in der Stunde Hunderte Brote buk. Ich hatte keinen Mann, und am meisten fehlten mir die Kinder.

    Oft ließ ich mich nicht ablösen, weil ich mich vor den vier Wänden unseres Zimmers fürchtete.
    Brot auf Brot glitt lautlos über den oberen Bildschirm. Ich kämpfte gegen die Müdigkeit, und bei jedem Lidschlag ließ ich die Augen Sekunden geschlossen.
    Plötzlich durchzitterte den Raum eine Erschütterung, der ein dumpfes Grollen folgte. Irgendwo zerklirrte etwas, ein Rauschen drang in den fensterlosen, weil zentral gelegenen Raum. Dann verflackerten die Bildschirme und Signalleuchten. Die einsame Glimmleuchte des Notlichts verstärkte die Dunkelheit eher, anstatt sie zu mildern.
    Einige Sekunden lang saß ich wie gelähmt. Dann der Gedanke: Was ist denn jetzt schon wieder!
    Langsam, obwohl sich meine Augen bereits an die Düsternis gewöhnt hatten, ging ich zur Tür. Eine unerklärliche Gleichgültigkeit hatte mich befallen.
    Ich hielt die Hand auf den Schließknopf, dachte einen Augenblick: Nimmt denn das gar kein Ende…? Mit der Stirn berührte ich die Tür. Wenn es doch schon das Ende wäre…!
    Von draußen drang Geschrei gedämpft herein, Poltern und

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