Der Untergang der Telestadt
wirbelte wie ein Blatt von dannen, verschwand in der Finsternis aus Schmutz, Regen, Gegenständen und Dunkelheit. An ein Hinaustreten war überhaupt nicht zu denken. Wir hatten zu tun, die übrigen Räume von der Diele abzuriegeln, weil nun der Orkan fauchend und speiend ins Haus drang.
Ich will es kurz machen: Wir dachten allesamt, die letzte Stunde sei gekommen.
An diesem Tag starben fünf Menschen. Einer von ihnen war David Kanadse, unser Commodore, beim Versuch, Kinder aus einem eingestürzten Haus zu bergen.
Nach diesem Sturm blieben nur noch fünfzig Prozent der Häuser bewohnbar, die Trümmer der Schule lagen unter einem entwurzelten Waldstreifen, Ernte und frische Saat waren so gut wie vernichtet, etliche Großmaschinen bis zur Unbrauchbarkeit beschädigt, Material und Gerät verschleudert, verdorben.
Der Rat wählte Gus McCullan, meinen Mann, zum neuen Administrator, der von nun an Bürgermeister hieß.
Die Schule wurde in die Telesalt zurückverlegt, aber natürlich entbürdete man die Schüler nicht von ihren Aufgaben. Es mußten immerhin der zweimal zwanzigminütige Marsch zum Schiff und zurück, dann noch, nach dem Unterricht, die Feldarbeit absolviert werden.
Wir akzeptierten das, denn selbstverständlich sah ein jeder ein, daß alle Hände dringend gebraucht wurden, wenn wir nicht nur wiederaufbauen, sondern auch den Planverzug aufholen wollten. Und der Rat wollte das. McCullan, den ich ganz selten und dann meist müde und abgespannt traf, vertrat ebenfalls die Ansicht, daß ein Nachlassen in den Forderungen das Allerschädlichste sei, was einreißen könnte. Nur die Arbeit und der Erfolg würden die notwendige Disziplin für das grandiose Vorhaben aufrechterhalten. Und natürlich müsse man bei den Kindern anfangen.
Ein folgenschwerer Entschluß wurde gefaßt: Die Erkundung ergab, der Sturm hatte nur partiell gewütet. Es gab Landstriche in unmittelbarer Nähe, wo der Wind kein Gräschen gekrümmt hatte. Also wurde festgelegt, die Kapazitäten zu dritteln und im gebührenden Abstand voneinander mit der Anlage zweier weiterer Siedlungen zu beginnen. Die eine Niederlassung sollte Bergstadt heißen, weil sie, vierzig Kilometer vom Landeplatz entfernt, in Richtung der Hügelkette angelegt werden sollte, und analog sollte Seestadt dreißig Kilometer in Richtung der Wasseransammlungen entstehen. Bis dort der Aufbau so weit fortgeschritten sein würde, blieben die Kinder in Ziel. Später allerdings sollten auch die Schulen gedrittelt, die Kinder mit den Eltern wieder vereint werden. Mehrere schwachbelegte Klassen wurden zusammengelegt und in den frei werdenden Räumen Schlafplätze für die Kinder eingerichtet. Natürlich konnte von einem geregelten Unterricht keine Rede mehr sein. Durch die ständige Überforderung verloren die Kinder ihr Kindgemäßes…
Und natürlich warf die Drittelung der Kapazitäten den Wiederaufbau und den Fortgang der weiteren Arbeiten zurück.
Allmählich, unmerklich am Anfang fast, schlug die Stimmung um. Optimistisch-fröhliche Grundhaltung gab es schon lange nicht mehr. Heiterkeit und Ausgelassenheit blieben auf familiäre Anlässe beschränkt und unterlagen im übrigen der Spontanität. Aufkommende Unzufriedenheit bezog sich auf den unplanmäßigen Verlauf der Aktion Neuerde. Nicht daß etwa die Entwicklung der Siedlungen und der Infrastruktur den Anlaß bot. Dies erlebte jeder selber mit, wußte um die Möglichkeiten und Beeinträchtigungen.
Die Menschen bekamen einfach Angst, auf verlorenem Posten zu stehen. Das Abebben der Pioniereuphorie hatte bereits merklich nach dem ersten Jahr auch einen Rückgang der Geburtenrate zur Folge. Das und die überdurchschnittlich hohe Zahl der Todesfälle gewährten nicht mehr die einfache Reproduktion der Menschheit auf Neuerde. Und es halfen weder Stimuli noch Agitation. Jedem jungen Paar wurde zum Beispiel – zähneknirschend – von der Administration alle zehn Tage ein freier Tag gewährt; es erhielt für das noch nicht geborene Kind ein Zimmer zugewiesen, und die junge Mutter arbeitete verkürzt.
Ein Vorschlag im Rat, der auf illegalem Wege in die Öffentlichkeit drang, man solle prüfen, ob auf Invitroentstehung menschlichen Lebens übergegangen werden könne, stieß auf heftigste Proteste und wurde widerrufen. Außerdem bezweifle ich, ob wir auf die Dauer die Bedingungen, von der Nährlösung bis zur Hygiene, hätten aufrechterhalten können, die eine solche Maßnahme verlangte.
Diese Ängste ballten sich zur Unruhe,
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