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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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nachdrücklich, sprach auf sie ein…
    Dann schmiegte sie sich wie hilfesuchend an ihn, und so kauerte sie eine Weile. Behutsam, als wollte er sie nicht erschrecken, wischte er der Frau mit einem Tuch Schmutz, Regenwasser und Blutspuren aus dem Gesicht. Er küßte ihre Stirn, und es gelang ihm, sie neben das Kind auf das provisorische Lager zu betten. Er setzte sich neben sie und hielt ihre Hand.
    Obwohl ich völlig durchnäßt war, das Wasser lief mir über Brust und Rücken – es hatte wie üblich heftig angefangen zu regnen –, rührte ich mich nicht von der Stelle. Ich glaubte jetzt Absicht und Trieb dieser Familie zu kennen, die sie zur Telesalt geführt hatten, ein völlig unsinniges, tödliches Beginnen, eine Tat aber, die von einer mir unvorstellbar großen Liebe dirigiert wurde…
    Doch dann machte sich abermals Empörung in mir breit, die sich diesmal nicht gegen die zwei erwachsenen Menschen vor mir richtete. Wo blieben die anderen, wo die Gesellschaft, das Kollektiv? Mir stellte sich das Hiersein dieser Familie so dar, daß man ihr Verschwinden aus Seestadt offenbar genauso hingenommen hatte wie seinerzeit das meinige. Lag es nicht auf der Hand, daß man sie hier suchen mußte? Wie anders war ihr Schrei »nach Hause« zu deuten, als daß die Wahnsinnige tatsächlich den Drang nach ihrer Urheimat, der Erde, hatte? Sie mußte sich doch in Behandlung befunden haben genau wie ich damals, als ich den Zusammenbruch erlitt. Oder nahm man solches schon nicht mehr so ernst? Hatte man vorausgesetzt, die drei würden mit dem Säugling ohnehin nicht weit kommen im Dschungel, hatte man sie beizeiten aufgegeben? Alle diese schrecklichen Gedanken endeten in einem für mich furchtbaren Bild einer Gesellschaft auf Neuerde, die menschenfeindlich geworden war.
    Meine Vermutungen, die sich zu Überzeugungen auswuchsen, machten mich zwar wissender, aber keineswegs schlauer. Welche Rolle hatte ich nun in diesem Stück zu spielen, in das ich so unversehens hineingeraten war?
    Der Frau hatte der Schlaf die wirren Gedanken genommen. Der Mann legte sich neben sie und breitete eine Decke über sich und die Gefährtin. Ohne auch nur annähernd zu einem Schluß gekommen zu sein, trat ich den Rückweg an.
    Und nun, da ich hier sitze und das Erlebte noch einmal überdenke, nachdem ich schon beim Aufschreiben durch das immerwährende Abschweifen der Gedanken wesentlich mehr Zeit als sonst benötigt habe, ist mir noch immer keine Lösung eingefallen. Nur eines ist mir klarer geworden: Ich machte mich mitschuldig, überließe ich diese Leute ihrem tödlichen Schicksal…

    Heute, einen Tag nach dieser aufrüttelnden Entdeckung, befand ich mich nach einer unruhig verbrachten Nacht schon frühzeitig auf den Beinen. Meine Gedanken hatten sich stets im Kreise gedreht. Mir war bewußt, daß ich handeln mußte, aber eine Antwort auf die Frage, wie, fiel mir nicht ein.
    Mit der Frau zu sprechen, die aus meiner Sicht die eigentliche Ursache für die Situation dieser Familie gesetzt hatte, hielt ich für völlig sinnlos. Dem Mann müßte ich mich offenbaren, ich hielt ihn für vernünftig genug, selbst eine Lösung herbeizuführen, wenn er die Möglichkeit, vor allem wohl die Kraft dazu hätte. Er ließ sich von seiner wahnsinnigen Frau leiten, aus einer falschen Liebe, vielleicht aber auch einer Schwäche heraus. Was er sich davon versprach, blieb unklar. Wie er sich mir gegenüber verhielte, ebenso. Die Gefahr bestand, daß ich mich über ihn verriete.
    Ich dachte auch daran, den Fall denen in Seestadt anonym anzuzeigen, vor allem was die Machenschaften an der Hermetikzone anbelangte. Natürlich würde ich damit auf mich aufmerksam machen, vor allem auf meine Beziehung zur Telesalt. Betrieben die in Seestadt eine ernsthafte Suche, mein Wirken, ja ich selbst wären leicht zu entdecken…
    Während ich noch am Morgen das hier aufschreibe, beginnt das Pochen erneut. Die Frau hat sich also abermals durchgesetzt und er dem Sinnlosen nachgegeben.
    Und ich stelle mir wieder die Frage nach seinen Motiven. Warum setzt
er sich gegen diesen Unsinn nicht ebenso brutal durch wie gegen ihr irres
Verhalten am Vorabend?
Das Kind!
    Ich habe bisher die Anwesenheit des Babys, des Säuglings, in meine Motivsuche nicht eingeordnet! Dieses Kind braucht die Mutter, braucht eine möglichst ruhige, ausgeglichene, zufriedene, zufriedengestellte Mut ter, konnte ich mir vorstellen! Und das unter diesen primitiven Umständen um so mehr.
    Nach anderthalb Stunden bereits

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