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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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Brust an einen Pfahl gelehnt, der Mann säuberte träge mit einem Zweig den Rost.
    Ich befand mich in einer Art geistiger Lähmung. Die Zwiespältigkeit blieb, mein Denken drehte sich um das Kind, aber lief im Kreise, ich fand keine Lösung…
    Ich saß und sah zu der seltsamen Familie nur noch gelegentlich hin. Ich blieb in dieser Stellung, selbst als es anfing zu regnen, die Frau drüben offenbar in ihrer sitzenden Haltung eingeschlafen war.
    Dann formulierte sich in mir langsam die Frage nach der Herkunft, dem Schicksal dieser Menschen. Natürlich bestand kein Zweifel, daß sie aus Seestadt stammten. Alle Menschen auf diesem Planeten stammten aus Berg- oder Seestadt. Nur, Bergstadt hatte keine Trasse zum Schiff, und die Entfernung dorthin erschien mir zu groß, als daß diese Leute sie bewältigt haben könnten.
    So, wie sie aussahen, mußten sie allerdings seit Tagen, Wochen unterwegs sein. Allzu lange wiederum auch nicht, sonst wäre ihnen wohl bereits die Babynahrung ausgegangen…
    Unvermittelt wurde ich aus meiner Spekulation gerissen, die ohnehin zu keinem Ergebnis geführt hätte; das Ereignis allerdings, das sich nun vollzog, schien durchaus geeignet, die Sache ein wenig aufzuhellen: Die Frau drüben schreckte plötzlich hoch. Es war ein Zufall, daß ich gerade in diesem Augenblick hinübersah.
    Sie stürzte sich gleichsam auf den Mann, der Mühe hatte, den offensichtlich unvermuteten Anfall abzuwehren, aber sogleich doch soviel Routine entwickelte, die mich vermuten ließ, es geschah nicht zum erstenmal.
    Aber die Frau schrie, und ich verstand, was sie schrie: »Ich will nach Hause, verstehst du, ich will nach Hause. Tu was, du Schlappschwanz! Nach Hause…« Ihr Schrei ging in einem Röcheln unter, weil ihr der Mann links und rechts schwere Ohrfeigen verabreichte, die Widerstrebende dann, sie an den Schultern packend, auf den Boden zwang, wo sie sich hin und her wand, ihn plötzlich abschüttelte, zum Kind sprang, es aus dem Schlaf riß und damit in den Regen hinaus enteilte. Dabei schrie sie abermals im höchsten hysterischen Diskant: »Komm, schnell, lauf, die bringen uns um…«
    Der Mann setzte mit großen Schritten hinterher, brüllte: »Bleib stehen!«, hatte sie alsbald eingeholt, doch da sie sich wehrte, das schreiende Kind an die Brust pressend, blieb ihm keine Wahl, als sie zu Boden zu reißen, wo sie sich eine kleine Weile in einem Knäuel balgten. Das Kind aber war einige Meter hinweggerollt, schrie nun mörderisch und war über und über vom regendurchnäßten Mulm beschmutzt.
    Dann hatte der Mann die Frau in einem Schmerzgriff, indem er ihr den Arm nach hinten bog, und er führte sie zurück zum Unterstand, wo er sie brutal zu Boden warf. Sie blieb so liegen, weinte laut.
    Der Mann kniete sich neben sie, sprach beruhigend auf sie ein, strich ihr mit einer zärtlichen Geste übers Haar. Dann erhob er sich, sie scharf beobachtend, und ging halb rückwärts hinaus aufs Feld, um das noch immer schreiende Kind zu holen.
    Als er dieses unter dem Dach mit einem Tuch säuberte, beruhigend auf es einsprechend, ließ er die unbeweglich auf dem Boden liegende Frau nicht aus den Augen.
    Das Ganze vollzog sich derart schnell und folgerichtig, daß ich mit Überlegungen, einzugreifen oder nicht, nicht zu Ende kam. Ich spürte auch, daß es meiner Empörung ob der Brutalität des Mannes an Substanz fehlte. Wie anders hätte er sich in solcher Situation verhalten können…
    Und dann geschah das, was mich weitere Zusammenhänge vermuten ließ: Scharf beobachtet von dem Mann, bewegte sich die Frau in devoter Haltung. Sie kroch auf das Gepäck zu, nahm dort einen Gegenstand auf, den ich zunächst nicht sehen konnte, weil sie ihn mit ihrem Körper verdeckte, richtete sich auf den Knien auf und hielt ihn in einer unvergleichlich rührend bittenden Geste dem Mann mit ausgestreckten Armen hin: einen schweren Meißel!
    Ich empfand diese Szene derart aufwühlend, daß. es mir Tränen in die Augen trieb. Mit einemmal wußte ich die Schläge gegen den Navigationstrakt zu deuten, die völlige Unzulänglichkeit des Werkzeugs, die Ausdauer vielleicht auch, mit der der klägliche Versuch, in dieses Heiligtum einzudringen, ausgeführt wurde. Und ich empfand Bewunderung für diesen Mann. Er mußte auf alle Fälle tief für diese Frau empfinden, wenn er ihrem Wahnsinnswunsch derart willfährig und geduldig nachzukommen imstande war.
    Und wieder wandte er sich ihr liebevoll zu, nahm ihr das Werkzeug ab, nickte

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