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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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wandern. Ich habe die vergangenen vier Tage genutzt, meine persönliche Ausrüstung nach den Erfahrungen des letzten Ausfluges zu komplettieren, zu verbessern. Oft stellte ich die Arbeit ein, lauschte, aber das Pochen, das unsinnige, das mir jetzt wie Musik vorgekommen wäre, stellte sich nicht ein. Einigemal inspizierte ich die Zugänge zu den abgeschlossenen Räumen, die Wohntrakts, in der Hoffnung, die drei hätten doch noch das Schiff aufgesucht und so größeren Schutz gefunden.

    Einer Eingebung folgend, bin ich nicht auf meinem Pfad zur Trasse vorgedrungen, sondern habe einen Weg über die Felder nach Ziel gewählt, das ich an der Peripherie umgehen und so zur »Straße« gelangen wollte. Ich hatte im Schiff ein Strahlendosimeter gefunden und hoffte auf zu große Gefahr rechtzeitig aufmerksam zu werden.
    Als ich die ersten, stark demontierten und mittlerweile verrotteten Häuser passierte, hörte ich aus einem ein erschöpftes Wimmern, durchdrungen von einem rhythmischen – ja, man kann es nicht anders ausdrücken – Krächzen.
    Vorsichtig, mit äußerst bangen Erwartungen, trat ich näher. Dann stand ich vor dem verhältnismäßig intakten Gebäude, mein Zähler tickte aufgeregt, ich achtete kaum darauf.
    Vor dem Haus lag schmutzüberkrustet die Frau, hingestreckt, die Wange am Boden, die Arme in der Vorhalte, die Finger zu Krallen gekrümmt, davor Vertiefungen, ausgekratzt mit blutigen Fingernägeln. Das linke Bein hielt saitenstraff das flexible Seil, das ich schon kannte, in Spannung. Es verlief in das Haus hinein. Dorther kam das Wimmern; die krächzenden Laute stieß, ohne sich zu rühren, die Frau aus, die völlig entkräftet, beinahe in Agonie lag, nach Schmutz und Nässe zu urteilen, schon länger.
    Ich warf meine Ausrüstung ab, zerschweißte als erstes die Litze. Das Bein der Frau sank zu Boden, aber mehr Bewegung kam in den erschöpften Körper nicht.
    Fahrig eilte ich in das Haus. Auf einer Schütte lag das Kind, eingehüllt in Windeln, von denen ein penetrant stechender Geruch emporstieg. Ich überlegte, was zu tun sei. Ein rechter Entschluß stellte sich nicht ein. Weiteres Zaudern schien mir jedoch unverantwortlich. Ich begann, das Kind auszuwickeln. Es lag über und über in Exkrementen, war wund und schrie lauter, ansonsten schien es matt vor Hunger und Erschöpfung.
    Den Ekel überwindend, machte ich den Jungen notdürftig sauber, verwendete dabei meinen Wasservorrat. Dann durchsuchte ich die Tragesäcke, die beide im Raum standen, nahm mir die Zeit, die Aufschriften der wenigen noch vorhandenen Dosen zu lesen, wählte einen Haferbrei, der wohl am leichtesten verdaulich war, und ich begann, das Baby zu füttern. Anfangs schien es, als reiche seine Kraft nicht mehr, die Nahrung aufzunehmen. Seine Lustlosigkeit und mein Ungeschick führten zu einer großen Kleckerei. Doch nach und nach kehrten bei dem Kleinen Lebensgeister und Appetit zurück. Dann brach er einen Teil wieder hervor, aber er begann alsbald zu strampeln, Laute auszustoßen, und die Äuglein blitzten. Wenig später, als ich mich anschickte, ihn auf den Arm zu nehmen und den Aufstoßer zu provozieren – diese Notwendigkeiten hatte ich irgendwie im Gedächtnis –, schlief der Kleine unvermittelt ein. Ich lief hinaus zu der Frau. Sie hatte ihre Lage nicht verändert, die Laute, die sie ausstieß, klangen noch kläglicher.
    Ihr Kopf, den ich aufrichten wollte, fiel kraftlos zurück. So schüttete ich ihr einen Rest verbliebenen Wassers über die bläulichen Lippen. Ob sie in irgendeiner Weise reagierte, war ich mir nicht sicher. Wenn, dann fast unmerklich.
    Wieder kam ich zu keinem Entschluß. Meine Gedanken wanderten
von der Frau zum Kind, zum Mann…
Sie konnte so nicht liegenbleiben.
Ich rannte zum Kind; es schlief.
    Dann legte ich mir, mich abermals überwindend, die schlaffen Arme der Frau um den Hals und hievte mir die Leblose auf den Rücken. Danach schleppte ich sie durch Gestrüpp, so schnell mich meine Beine trugen, zum Schiff. Selbst am Ende meiner Kraft, schweißdurchnäßt und außer Atem, kam ich dort an. Ich trug die Frau noch einige Meter in den Korridor hinein, legte die Reglose ab, verschnaufte wenige Minuten und hastete zurück, das Kind zu holen. Auf dem Weg hielt ich Ausschau nach dem Mann. Sicher war ich mir, daß er sich nicht in unlauterer Absicht entfernt hatte, Gerät, Ausrüstung und Proviant befanden sich im Haus. Woher ich die Sicherheit nahm, weiß ich nicht: Ihm war Tödliches zugestoßen. Dennoch

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