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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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hielt ich, nachdem ich mich vergewissert hatte, daß das Kind noch schlief, Ausschau. Ich schlug einen weiten Bogen, leichtfertig, weil ohne Ausrüstung und ohne Geigerzähler.
    Dann setzte ich mich neben das Kind, unschlüssig, was weiter geschehen solle. Ich dachte an die äußerst hilfsbedürftige Frau, lud mir den Kleinen behutsam auf den Arm – aber ich hätte bestimmt ein bißchen kräftiger zupacken können; denn er schmatzte ein paarmal und schlief tief weiter.
    Langsam ging ich zurück zur Telesalt, warf nur einen flüchtigen Blick auf die liegende, jetzt stille Frau. Mir schien, sie hatte ihre Haltung nicht im geringsten verändert.
    Ich eilte in meine Behausung, nahm ein frisches Tuch, wickelte das Kind hinein und legte es auf meine Schlafstätte. Dann stellte ich Wasser zum Wärmen auf, hängte mir meine Sanitätstasche um und begab mich zur Kindesmutter, gewiß, daß mir die Strapaze bevorstand, sie ebenfalls in mein Domizil transportieren zu müssen.
    Aber die Mühe konnte ich mir ersparen. Die Frau war tot!
    Ich vergewisserte mich ungläubig mehrere Male, indem ich ihr in die verglasten Augen leuchtete, das Ohr an die Brust legte. Dann stand ich unschlüssig, erschüttert, unfähig zu denken, zu handeln.
    Nur zögernd kam Aktivität über mich; ich schleifte die Tote ins Freie.
    Wie eine Maschine begann ich, eine Grube unmittelbar unter dem Rumpf des Schiffes und unweit des Eingangs auszuheben. Wie eine Irre hieb ich auf Sträucher und Wurzeln ein, wollte verzweifeln, weil ich keine zehn Zentimeter in den Untergrund drang. Nur langsam kehrte Vernunft wieder.
    Ich lud mir die Tote auf, trug sie – abermals mit dem Einsatz letzter Kraft – zu den Feldern. Dann durchsuchte ich ihre dürftige Kleidung, in der Hoffnung, etwas zu finden, was zur Identität der Frau beitragen könnte, ergebnislos.
    Und dann begrub ich sie, machte die Stelle jedoch nur für mich kenntlich.
    Während ich aber die flache Grube zuschaufelte, dachte ich nicht mehr an die Tote unter mir, für die dieses Ende vielleicht eine Erlösung bedeutete, sondern ich dachte an das Baby, das – hoffentlich noch schlafend – in meiner Behausung lag und für welches ich wohl oder übel nun die Verantwortung trug.
    In diesem Zusammenhang tat ich ein übriges: Ich eilte zu der Hütte, wo ich sie gefunden hatte, und befestigte neben dem Lager eine Nachricht: »Baby in Telesalt. An bekannter Stelle hämmern.« Das galt dem Mann, falls er zurückkäme. Um eine Entdeckung durch Unbefugte war es mir nicht bange. Unwahrscheinlich, daß jemand das verlassene Haus aufsuchen würde…

    Soeben habe ich, was ich in drei Neuerdejahren tagebuchartig niedergeschrieben hatte, aus dieser Chronik entfernt. Es hatte ausschließlich mit Pitt und mir, aber nichts mit der Geschichte der hiesigen Menschheit zu tun. Das ist verständlich, denn ich habe mich um diese in diesen Jahren nicht gekümmert – nicht kümmern können, entschuldige ich mich. In der Tat, kein einziges Mal hatte ich Seestadt aufgesucht. Wie hätte ich es auch tun können mit dem Kind?
    Die Telesalt wurde zehn-, zwölfmal von den Menschen besucht, meist um Materialien wegzuholen, manchmal aber blieb mir der Zweck der Besuche verschlossen; denn natürlich hielt ich mich bei den Beobachtungen zurück.
    Ich selbst habe das Schiff nur kurzzeitig verlassen, einmal habe ich dabei meinen angemoderten Zettel aus jener Hütte entfernt, vor der die Mutter meines Kindes zu Tode gekommen war.
    Alles, was sich in mir abgespielt, gewandelt hat in dieser Zeit, sei hier ungenannt, hat mit dem Anliegen nichts zu tun.
    Pitt hat sich prächtig entwickelt. Ich habe alles schnell gelernt, was zur Pflege eines Kindes nötig ist. Er ist meine Freude, mein ein und alles. Ich glaube, zum erstenmal in meinem Leben bin ich glücklich, bewußt glücklich…

    Es ist Abend, der siebenunddreißigste Tag des zehnten, letzten Monats dieses Jahres. Ich werde morgen meinen ersten Ausflug wieder machen nach Seestadt. Natürlich kann ich Pitt nicht zurücklassen. Aber er ist kräftig genug, die Strapazen dieses Marsches auf sich zu nehmen. Ich habe ein Gestell gebaut, in das ich ihn setzen und in dem ich ihn tragen konnte… Ob wir bis ans Ziel vordringen würden, machte ich abhängig vom Zustand der Depots; denn ich konnte nicht so viele Geräte und Lebensmittel mitschleppen, wie wir beide für den Marsch benötigten.

    Zehn Tage später.
    Es fällt Pitt doch schwerer, als ich zunächst angenommen habe. Ich mache mir

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