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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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wie die andre den Geist der Werke umgewandelt. Die stets genannten Beispiele der Bettelorden, der Herrnhuter, der Heilsarmee beweisen schon durch ihre geringe Zahl, mehr noch durch ihr geringes Gewicht, daß sie den Ausnahmefall von etwas ganz anderem, der
eigentlich faustisch-christlichen
Moral nämlich, darstellen. Man wird ihre Formulierung allerdings bei Luther und im Tridentinum vergeblich suchen, aber alle Christen großen Stils, Innocenz III. und Calvin, Loyola und Savonarola, Pascal und die heilige Teresia, trugen sie im Widerspruch zu ihren Lehrmeinungen in sich, ohne daß sie das je bemerkt hätten.
    Man braucht nur den rein abendländischen Begriff jener männlichen Tugend, der durch Nietzsches »moralinfreie«
virtù
bezeichnet ist, die
grandezza
des spanischen, die
grandeur
des französischen Barock, mit jener sehr weiblichen αρετή des hellenischen Ideals zu vergleichen, als deren Praxis immer die Genußfähigkeit (ηδονή), Gemütsruhe (γαλήνη, απάθεια), Bedürfnislosigkeit und vor allem immer wieder die αταραξία zum Vorschein kommt. Was Nietzsche die blonde Bestie nannte und was er in dem von ihm überschätzten Typus des Renaissancemenschen verkörpert fand (der nur ein raubkatzenhafter Nachschlag der großen Deutschen der Stauferzeit war), ist das strengste Gegenteil des Typus, den ohne Ausnahme alle antiken Ethiken gewünscht und alle antiken Menschen von Bedeutung verkörpert haben. Dahin gehören die Menschen von Granit, von denen die faustische Kultur eine lange Reihe vorüberziehen sah, die antike nicht einen einzigen. Denn Perikles und Themistokles waren weiche Naturen im Sinne attischer Kalokagathie, Alexander war ein Schwärmer, der nie aufgewacht ist, Cäsar ein kluger Rechner; Hannibal, der Fremde, war der einzige »Mann« unter ihnen. Die Menschen der Frühzeit, auf die man aus Homer schließen darf, diese Odysseus und Ajax hätten sich neben der Ritterschaft der Kreuzzüge merkwürdig ausgenommen. Es gibt auch eine Brutalität als Rückschlag sehr weiblicher Naturen, und dahin gehört die hellenische Grausamkeit. Hier im Norden aber erscheinen an der Schwelle der Frühzeit die großen Sachsen-, Franken- und Staufenkaiser, umgeben von einer Schar riesenhafter Menschen wie Heinrich dem Löwen und Gregor VII. Es folgen die Menschen der Renaissance, der Kämpfe der weißen und roten Rose, der Hugenottenkriege; die spanischen Konquistadoren, die preußischen Kurfürsten und Könige, Napoleon, Bismarck, Cecil Rhodes. Wo gab es eine zweite Kultur, die dem etwas an die Seite zu setzen hätte? Wo besitzt die ganze hellenische Geschichte eine Szene von der Mächtigkeit jener von Legnano, damals als der Zwist zwischen Staufen und Welfen zum Ausbruch kam? Die Recken der Völkerwanderung, spanische Ritterlichkeit, preußische Disziplin, napoleonische Energie – das alles hat wenig Antikes. Und wo findet sich auf den Höhen faustischen Menschentums von den Kreuzzügen bis zum Weltkrieg jene »Sklavenmoral«, jene weiche Entsagung, jene Caritas im Betschwesternsinne? In den Worten, die man achtet, nirgends sonst. Ich denke da auch an die Typen des faustischen Priestertums, an jene prachtvollen Bischöfe der deutschen Kaiserzeit, die hoch zu Roß in wilden Schlachten ihre Leute anführten, an die Päpste, denen Heinrich IV. und Friedrich II. unterlagen, an den Deutschritterorden in den Ostmarken, an den Luthertrotz, in dem sich altnordisches Heidentum gegen altrömisches aufbäumte, an die großen Kardinäle Richelieu, Mazarin und Fleury, die Frankreich geschaffen haben.
Das
ist faustische Moral. Man muß blind sein, um diese unbändige Lebenskraft nicht im gesamten Bilde der westeuropäischen Geschichte wirksam zu finden. Und erst aus diesen großen Fällen weltlicher Leidenschaft, in denen das Bewußtsein einer
Sendung
zum Ausdruck kommt, begreift man die einer geistlichen von großem Stil, einer
erhabenen
Caritas, der nichts widersteht, und die in ihrer Dynamik so ganz anders erscheint als antike Gemessenheit und frühchristliche Milde. Es liegt
Härte
in der Art des Mit-Leidens, das deutsche Mystiker, deutsche und spanische Ordensritter, französische und englische Calvinisten gepflegt haben. Mit einem russischen Mitleiden wie dem Raskolnikows verschwindet ein Geist in der Brüdermenge; mit dem faustischen hebt er sich ab von ihr.
»Ego habeo factum«
– das ist auch die Formel dieser persönlichen Caritas, welche den
einzelnen
vor Gott rechtfertigt.
    Das ist der Grund,

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