Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
Vom Netzwerk:
verwandt, die ebenfalls etwas unwiderruflich Verlornes, die Kultur nämlich, wieder heraufrufen möchte –, und er kann seinem Träger sehr wohl unbewußt sein, eine Gestalt seines Fühlens, die nie in die Konventionen seines Denkens eingreift, die seiner Überzeugung sogar widerspricht. Man begreift das, wenn man einsieht, weshalb der fromme Haydn Beethoven einen Atheisten nannte, nachdem er Musik von ihm gehört hatte. Der Atheismus gehört zum Menschen noch nicht der Aufklärung, aber der beginnenden Zivilisation. Er gehört zur großen Stadt; er gehört zum »Gebildeten« der großen Städte, der sich mechanisch aneignet, was seine Vorfahren, die Schöpfer seiner Kultur, organisch erlebt haben. Aristoteles ist, vom antiken Gottesgefühl aus, Atheist, ohne es zu wissen. Der hellenistisch-römische Stoizismus ist es so gut wie der Sozialismus und Buddhismus der westeuropäischen und indischen Modernität – oft beim ehrlichsten Gebrauch des Wortes »Gott«.
    Bedeutet diese späte und zur »zweiten Religiosität« hinüberleitende Form des Welt
gefühls
wie des Welt
bildes
aber die Verneinung des Religiösen in uns, so ist sie in jeder Zivilisation von andrer Struktur. Es gibt keine Religiosität ohne eine ihr
allein
zugehörige, gegen sie
allein
gerichtete atheistische Auflehnung. Man erlebt die ringsum sich dehnende Außenwelt auch weiterhin wie einen Kosmos wohlgeordneter Körper, als Welthöhle oder unendlichen, wirkenden Raum, aber man erlebt die heilige Kausalität nicht mehr darin, und man erkennt, wenn man das Bild dieser Welt betrachtet, nur eine profane, im Mechanischen sich erschöpfende Kausalität, oder wünscht und glaubt, daß es so sei. [Vgl. Bd. II, S. 935.] Es gibt einen antiken, arabischen, abendländischen Atheismus, die untereinander nach Sinn und Gehalt völlig verschieden sind. Nietzsche hat den dynamischen dahin formuliert, daß »Gott tot sei«. Ein antiker Philosoph hätte den statisch-euklidischen damit bezeichnet, daß »die am heiligen Orte weilenden Götter tot sind«. Das eine bedeutet die Entgötterung des unendlichen Raumes, das andre die der unzähligen Dinge. Der
tote
Raum und die
toten
Dinge aber sind die »Tatsachen« der Physik. Der Atheist vermag zwischen dem Naturbild der Physik und dem der Religion keinen Unterschied zu erleben. Mit einem richtigen Gefühl unterscheidet der Sprachgebrauch Weisheit und Intelligenz, als frühen und späten, ländlichen und großstädtischen Zustand des Geistes. Intelligenz klingt atheistisch. Niemand würde Heraklit oder Meister Eckart eine Intelligenz nennen, aber Sokrates und Rousseau waren intelligent, nicht »weise«. In dem Wort liegt etwas Wurzelloses. Nur vom Standpunkt des Stoikers und Sozialisten, des typisch irreligiösen Menschen aus ist der Mangel an Intelligenz etwas Verächtliches.
    Das Seelische jeder lebendigen Kultur ist religiös, hat Religion, ob es sich dessen bewußt ist oder nicht. Daß es überhaupt da ist, daß es wird, sich entwickelt, sich erfüllt,
ist
seine Religion. Es steht ihm nicht frei, irreligiös zu sein. Es ist ihm nur möglich, wie im mediceischen Florenz, mit dem Gedanken daran zu spielen. Der Mensch der Weltstädte aber ist irreligiös. Das gehört zu seinem Wesen; das bezeichnet seine historische Erscheinung. Er mag aus der schmerzlichen Empfindung einer inneren Leere und Armut noch so ernstlich religiös sein wollen, er kann es nicht. Alle weltstädtische Religiosität beruht auf Selbsttäuschung. Der Grad von Frömmigkeit, dessen eine Zeit fähig ist, offenbart sich in ihrem Verhältnis zur Toleranz. Man duldet entweder, weil Etwas der Formensprache nach vom Göttlichen redet, so wie man es selbst erlebt, oder man duldet, weil man
nichts
dergleichen mehr erlebt.
    Was man heute antike Toleranz nennt, [Vgl. Bd. II, S. 802.] ist ein Ausdruck des Gegenteils von Atheismus. Zum Begriff der antiken Religion gehört die Vielzahl der
numina
und Kulte. Sie sämtlich gelten zu lassen war nicht tolerant, sondern der selbstverständliche Ausdruck antiken Frommseins. Im Gegenteil, wer hier Ausnahmen forderte, erwies sich eben damit als gottlos. Christen und Juden galten als Atheisten, und sie mußten es für jeden sein, dessen Weltbild ein Inbegriff von Einzelkörpern war. Als man in der Kaiserzeit aufhörte, so zu empfinden, war auch das antike Gottgefühl zu Ende. Allerdings aber setzte man Achtung vor der Form des ortsgebundenen Kultus überhaupt voraus, vor den Götterbildern, den Mysterien, den Opfern und

Weitere Kostenlose Bücher