Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
Vom Netzwerk:
endlich einer Statue, die den Gott repräsentiert, bis zu der eines hervorragenden Menschen, der erst Heros und dann Gott wird, ist nur ein Schritt. Man verehrte im einen wie im andern die vollkommene Gestalt, in der die Weltsubstanz, das an sich Nichtgöttliche, sich verwirklicht hatte. Eine Vorstufe war der Konsul am Tage seines Triumphes. Er trug hier die Rüstung des kapitolinischen Jupiter, und in der älteren Zeit waren Gesicht und Arme mit roter Farbe bestrichen, um die Ähnlichkeit mit der Terrakottastatue des Gottes, dessen
numen
sich in diesem Augenblick in ihm verkörperte, zu erhöhen.
10
    In den ersten Generationen der Kaiserzeit löst sich der antike Polytheismus, ohne daß in vielen Fällen an der äußeren, kultischen oder mythischen Form etwas geändert worden wäre, in den magischen Monotheismus auf. [Vgl. Bd. II, S. 799 ff.] Eine neue Seele war erschienen und sie erlebte die verjährten Formen anders. Die Namen bestanden fort, aber sie deckten andre
numina
.
    Alle »spätantiken« Kulte, der Isis und Kybele, des Mithras, Sol, Sarapis, gelten nicht mehr ortsgebundenen, plastisch empfundenen Wesen. Auf der Akropolis wurde einst Hermes Propylaios am Eingang verehrt. Wenige Schritte davon befand sich der Kultort des Hermes, des Gatten der Aglauros, ein Punkt, über dem später das Erechtheion errichtet wurde. Auf der Südspitze des Kapitols lag dicht neben dem Heiligtum des Jupiter Feretrius, in dem sich statt der Statue ein heiliger Stein (
silex
) befand, das des Jupiter Optimus Maximus, und Augustus mußte, als er für diesen den Riesentempel erbaute, den Ort sorgfältig schonen, an welchem das
numen
des ersten haftete. Aber in frühchristlicher Zeit konnten Jupiter Dolichenus und Sol Invictus überall da verehrt werden, wo »zwei oder drei versammelt waren in ihrem Namen«, und alle diese Gottheiten wurden mehr und mehr als ein einziges
numen
empfunden, nur daß jeder Anhänger eines einzelnen Kultes überzeugt war, es in seiner wahren Gestalt zu kennen. In diesem Sinne sprach man von der »millionennamigen Isis«. Bis dahin waren die Namen Bezeichnungen ebensovieler körperhaft und örtlich verschiedener Götter gewesen, jetzt sind sie
Titel
des einen, den jeder meint.
    Dieser magische Monotheismus offenbart sich in allen religiösen Schöpfungen, die vom Osten aus das Imperium erfüllen, der alexandrinischen Isis, des von Aurelian bevorzugten Sonnengottes (des Baal von Palmyra), des von Diokletian beschützten Mithras, dessen persische Gestalt in Syrien völlig umgeprägt worden war, der von Septimius Severus verehrten Baalath von Karthago (Tanith, Dea caelestis), die sämtlich nicht mehr in antiker Weise die Zahl der konkreten Götter vermehren, sondern sie im Gegenteil in einer der bildhaften Darstellung sich mehr und mehr entziehenden Weise in sich aufnehmen. Das ist Alchymie an Stelle der Statik. Dem entspricht es, daß an Stelle des Bildes gewisse Symbole, der Stier, das Lamm, der Fisch, das Dreieck, das Kreuz in den Vordergrund treten. »
In hoc signo vinces
« – das klingt nicht mehr antik. Hier bereitet sich die Abkehr von der menschendarstellenden Kunst vor, die später im Islam und in Byzanz zum Bilderverbot führte.
    Bis auf
Trajan
herab, als auf griechischem Boden längst der letzte Hauch apollinischen Weltgefühls verschwunden war, besaß der römische Staatskult die Kraft, die euklidische Tendenz einer fortgesetzten
Vermehrung
der Götterwelt zu wahren. Die Gottheiten der unterworfenen Länder und Völker erhalten in Rom eine anerkannte Kultstätte, Priesterschaft und Ritual, während sie selbst als genau abgegrenzte Individuen neben die Götter der Vergangenheit treten. Von da an siegt auch an dieser Stelle, trotz eines ehrwürdigen Widerstandes, der seinen Sitz in einer kleinen Zahl uralter Patrizierfamilien hat, [Wissowa, Religion u. Kult. d. Römer (1912), S. 98 ff.] der magische Geist; die Göttergestalten schwinden als solche, als Körper, aus dem Bewußtsein, um einem transzendenten Gottgefühl Platz zu machen, das nicht mehr auf dem unmittelbaren Zeugnis der Sinne beruht, und die Bräuche, Feste und Legenden verfließen ineinander. Als Caracalla 217 den sakralrechtlichen Unterschied zwischen römischen und fremden Gottheiten aufhob, womit tatsächlich Isis die erste, alle älteren weiblichen
numina
umfassende Gottheit Roms [ Ebenda, S. 355.] und damit die gefährlichste Feindin des Christentums wurde, die sich den Todhaß der Kirchenväter zuzog, war Rom ein Stück Orient,

Weitere Kostenlose Bücher