Der Untergang des Abendlandes
insoweit in den Kreis der Betrachtung, als er gerade Krieg mit Rom führte. Wie steht es aber mit dessen
eigener
Verwaltungs- und Rechtsgeschichte? Was ist über Recht und Wirtschaft in Ägypten, Indien und China gesammelt worden, das sich neben den Arbeiten über antikes Recht halten könnte? [Es fehlt ebenso an einer
Geschichte der Landschaft
(also des Bodens, der Pflanzendecke und der Witterung), in der sich die Menschengeschichte seit fünftausend Jahren abgespielt hat. Aber die Menschengeschichte ringt sich so schwer von der Geschichte der Landschaft ab und bleibt mit tausend Wurzeln mit ihr so tief verbunden, daß man ohne sie das Leben, die Seele, das Denken gar nicht verstehen kann. Was die Landschaft Südeuropas betrifft, so macht seit dem Ende der Eiszeit ein unbändiger Überfluß der Pflanzenwelt allmählich der Dürftigkeit Platz. In der Folge der ägyptischen, antiken, arabischen und abendländischen Kultur hat sich um das Mittelmeer herum eine Wandlung des Klimas vollzogen, wonach der Bauer aus dem Kampf gegen die Pflanzenwelt in den
für sie
eintreten mußte, erst gegen den Urwald, dann gegen die Wüste sich behauptend. Die Sahara lag zur Zeit Hannibals weit im Süden von Karthago, heute dringt sie bereits in das nördliche Spanien und Italien ein; wo war sie zur Zeit der ägyptischen Pyramidenbauer mit den Wald- und Jagdbildern auf ihren Reliefs? Als die Spanier die Moriskos vertrieben, erlosch der nur noch künstlich aufrecht erhaltene Charakter des Landes als einer Wald- und Ackerlandschaft. Die Städte wurden Oasen in der Wüste. Zur Römerzeit hätte das keine derartige Folge gehabt.] Um 3000 [Die neue Methode der vergleichenden Morphologie gestattet eine sichere Nachprüfung der bis jetzt mit ganz andern Mitteln versuchten Zeitansätze alter Kulturen. Aus demselben Grunde, weshalb man auch bei Verlust aller andern Nachrichten Goethes Geburt nicht hundert Jahre vor den Urfaust verlegen oder in der Laufbahn Alexanders des Großen die eines älteren Mannes vermuten würde, kann man aus einzelnen Zügen des Staatslebens, dem Geist von Kunst, Denken und Religion beweisen, daß der Anbruch der ägyptischen Kultur um 3000 und der chinesischen um 1400 erfolgt ist. Die Berechnungen französischer Forscher und neuerdings von Borchardt (Die Annalen und die zeitliche Festlegung des Alten Reiches, 1917) sind von vornherein ebenso verfehlt wie die chinesischer Historiker über die Dauer der fabelhaften Hia- und Schang-Dynastien. Ebenso ist es völlig unmöglich, daß der ägyptische Kalender im Jahre 4241 eingeführt worden ist. Wie bei jeder Zeitrechnung hat man eine Entwicklung mit tiefgreifenden Kalenderreformen anzunehmen, womit der Begriff eines Anfangsdatums überhaupt gegenstandslos wird.] setzen nach einer langen »Merowingerzeit«, die in Ägypten noch deutlich übersehbar ist, die beiden ältesten Kulturen in äußerst kleinen Gebieten am unteren Nil und Euphrat ein. Früh- und Spätzeit sind hier längst durch die Namen Altes und Mittleres Reich, Sumer und Akkad unterschieden worden. Der Ausgang der ägyptischen Feudalzeit zeigt mit seiner Entstehung eines Erbadels und dem dadurch bedingten Verfall des frühen Königtums seit der sechsten Dynastie eine so erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Verlauf der Dinge in der chinesischen Frühzeit seit I-wang (934–909) und der abendländischen seit Kaiser Heinrich IV., daß eine vergleichende Untersuchung einmal gewagt werden sollte. Am Anfang des babylonischen »Barock« erscheint der große Sargon (2300), der bis ans Mittelmeer vordringt, Cypern erobert und sich im Geschmack Justinians I. und Karls V. den »Herrn der vier Weltteile« nennt. Am Nil um 1800, in »Akkad und Sumer« etwas früher, beginnen nun auch die ersten Zivilisationen, von denen die asiatische eine gewaltige Expansionskraft zeigt. Die »Errungenschaften der babylonischen Zivilisation«, vieles, was mit Messen, Zählen, Rechnen zusammenhängt, ist von da an vielleicht bis zur Nordsee und zum Gelben Meer getragen worden. Manche babylonische Fabrikmarke an einem Werkzeug mag da von germanischen Wilden als Zauberzeichen verehrt und zum Ursprung eines »urgermanischen« Ornaments geworden sein. Aber indessen ging die babylonische Welt selbst aus einer Hand in die andere. Kossäer, Assyrer, Chaldäer, Meder, Perser, Makedonier, lauter kleine [Ed. Meyer hat Gesch. d. A. III, 97, das kleine Perservolk, vielleicht noch zu hoch, auf eine halbe Million im Verhältnis zu den fünfzig Millionen des
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