Der Untergang des Abendlandes
Einheit verliehen, und darauf beruht das Selbstverständliche seines Sieges, das ihm Christen, Juden und Perser fast willenlos zuführte. Aus dem Islam hat sich dann die arabische Zivilisation entwickelt, die in ihrer höchsten geistigen Vollendung stand, als vorübergehend die Barbaren des Abendlandes hereinbrachen und nach Jerusalem zogen. Wie mag sich dies Schauspiel in den Augen vornehmer Araber ausgenommen haben? Etwas bolschewistisch vielleicht? Für die Politik der arabischen Welt waren die Verhältnisse in »Frankistan« etwas, auf das man herabsah. Noch als während des Dreißigjährigen Krieges, der von hier aus betrachtet »im fernen Westen« vor sich ging, der englische Gesandte in Konstantinopel die Türkei gegen das Haus Habsburg aufzubringen versuchte, hat man dort sicherlich in dem Bewußtsein gehandelt, daß diese kleinen Raubstaaten am Horizont der arabischen Welt für die großen Verhältnisse der Politik von Marokko bis nach Indien kaum in Betracht kämen. Eine Ahnung von der Zukunft werden weite Kreise selbst bei der Landung Napoleons in Ägypten noch nicht gehabt haben.
Inzwischen war in Mexiko eine neue Kultur entstanden. Sie liegt so weit von allen andern entfernt, daß keine Kunde je hinüber und herüber gedrungen ist. Um so erstaunlicher ist die Ähnlichkeit ihrer Entwicklung mit der antiken. Das wird die Philologen mit Entsetzen erfüllen, wenn sie vor diesen Teocallis an ihre dorischen Tempel denken, und doch ist es gerade ein antiker Zug, der mangelnde Wille zur Macht in der Technik, der die Art der Bewaffnung bestimmt und damit die Katastrophe möglich gemacht hat.
Denn diese Kultur ist das einzige Beispiel für einen gewaltsamen Tod. Sie verkümmerte nicht, sie wurde nicht unterdrückt oder gehemmt, sondern in der vollen Pracht ihrer Entfaltung gemordet, zerstört wie eine Sonnenblume, der ein Vorübergehender den Kopf abschlägt. Alle diese Staaten, darunter eine Weltmacht und mehr als ein Staatenbund, deren Größe und Mittel denen der griechischrömischen Staaten zur Zeit Hannibals weit überlegen waren, mit ihrer gesamten hohen Politik, mit sorgfältig geordnetem Finanzwesen, hochentwickelter Gesetzgebung, mit Verwaltungsgedanken und wirtschaftlichen Gewohnheiten, wie sie die Minister Karls V. nie begriffen hätten, mit reichen Literaturen in mehreren Sprachen, einer durchgeistigten und vornehmen Gesellschaft in großen Städten, wie das Abendland damals keine einzige aufzuweisen hatte – das alles wurde nicht etwa durch einen verzweifelten Krieg gebrochen, sondern durch eine Handvoll Banditen in wenigen Jahren so vollständig vertilgt, daß die Reste der Bevölkerung bald nicht einmal eine Erinnerung bewahrten. Von der Riesenstadt Tenochtitlan blieb kein Stein über dem Boden, in den Urwäldern von Yukatan liegen die Großstädte der Mayareiche dicht beieinander und fallen rasch der Vegetation zum Opfer. Wir wissen von keiner einzigen, wie sie hieß. Von der Literatur sind drei Bücher übriggeblieben, die niemand lesen kann.
Das Furchtbarste an diesem Schauspiel ist, daß es nicht einmal zu den Notwendigkeiten der abendländischen Kultur gehörte. Es war eine Privatsache von Abenteurern, und niemand in Deutschland, England und Frankreich hat damals geahnt, was hier vor sich ging. Wenn irgendwo auf Erden, so wurde hier gezeigt,
daß es keinen Sinn in der Menschengeschichte
, daß es nur eine tiefe Bedeutung in den Lebensläufen der einzelnen Kulturen gibt. Ihre Beziehungen untereinander sind ohne Bedeutung und zufällig. Der Zufall war hier so grauenhaft banal, so geradezu lächerlich, daß er in der elendsten Posse nicht angebracht werden dürfte. Ein paar schlechte Kanonen und einige hundert Steinschloßgewehre haben die Tragödie eingeleitet und zu Ende geführt.
Eine gesicherte Kenntnis auch nur der allgemeinsten Geschichte dieser Welt ist für alle Zeiten unmöglich. Ereignisse vom Range der Kreuzzüge und der Reformation sind spurlos der Vergessenheit verfallen. Erst in den letzten Jahrzehnten hat die Forschung wenigstens die Umrisse der späteren Entwicklung festgestellt, und mit Hilfe dieser Daten vermag die vergleichende Morphologie das Bild durch das der andern Kulturen zu erweitern und zu vertiefen. [Der folgende Versuch beruht auf den Angaben von zwei amerikanischen Werken: L. Spence,
The civilization of ancient Mexico
, Cambr. (1912), und H. J. Spinden,
A study of Maya art, its subject, matter and historical development
, Cambr. (1913), die unabhängig
Weitere Kostenlose Bücher