Der Untergang des Abendlandes
entschiedener
zum Recht der rechtgläubigen Christen
und als solches ist es von den bekehrten Asiaten und Germanen aufgefaßt und angenommen worden. Damit ist ein ganz neues Recht in alter Form entstanden. Nach antikem Eherecht war es unmöglich, daß etwa ein römischer Bürger eine Bürgertochter aus Capua heiratete, wenn zwischen diesen Städten keine Rechtsgemeinschaft, kein
conubium
bestand. [Die XII hatten das
conubium
sogar zwischen Patriziern und Plebejern verboten.] Jetzt war die Frage, nach welchem Recht ein Christ oder Jude, ob er der Heimat nach Römer, Syrer oder Maure war, eine Ungläubige heiraten könne. Denn in der magischen Rechtswelt besteht kein
conubium
zwischen
Andersgläubigen
. Daß ein Ire eine Negerin in Byzanz heiratet, wenn beide Christen sind, begegnet keiner Schwierigkeit, aber wie sollte in demselben syrischen Dorf ein monophysitischer Christ eine Nestorianerin heiraten? Sie stammten vielleicht beide aus dem gleichen Geschlecht – aber sie gehörten zu zwei rechtsverschiedenen »Nationen«. Dieser
arabische
Begriff der Nation ist eine neue und ganz entscheidende Tatsache. Die Grenze zwischen Heimat und Fremde lag in der apollinischen Kultur zwischen je zwei Städten, in der magischen
zwischen je zwei Glaubensgemeinschaften
. Was dem Römer der
peregrinus
, der
hostis
, das ist dem Christen der Heide, dem Juden der Amhaarez. Was für die Gallier oder Griechen zur Zeit Cäsars der Erwerb des römischen Bürgerrechts war,
das ist jetzt die christliche Taufe
: man tritt damit in die führende Nation der führenden Kultur ein. [Vgl. Bd. II, S. 765 ff.] Die Perser der Sassanidenzeit kennen, im Gegensatz zu denen der Achämenidenzeit, ein persisches Volk nicht mehr als Einheit der Abkunft und Sprache, sondern als Einheit der Mazdagläubigen im Gegensatz zu den Ungläubigen, mochten sie wie die meisten Nestorianer von noch so reiner persischer Abstammung sein. Und ebenso haben die Juden, später die Mandäer und Manichäer und noch später die christlichen Kirchen der Nestorianer und Monophysiten sich als Nationen, als Rechtsgemeinschaften und juristische Personen im neuen Sinne empfunden.
Und damit entsteht eine Gruppe früharabischer Rechte, die ebenso entschieden nach Religionen gesondert ist, wie die Gruppe der antiken Rechte nach Stadtstaaten. Im Sassanidenreich entwickeln sich eigne Rechtsschulen zoroastrischen Rechts; die Juden, die einen gewaltigen Teil der Bevölkerung von Armenien bis Saba bilden, schaffen sich ein Recht im Talmud, der einige Jahre vor dem
Corpus juris
abgeschlossen wird. Jede dieser Kirchen besitzt unabhängig von den jeweiligen Landesgrenzen eine eigne Rechtsprechung wie noch im heutigen Orient, und nur bei einem Streit zwischen Bekennern verschiedener Religionen entscheidet der Richter, welcher der im Lande herrschenden angehört. Den Juden hat im römischen Reich niemand ihre eigne Gerichtsbarkeit streitig gemacht, aber auch die Nestorianer und Monophysiten haben bald nach ihrer Lostrennung die Ausbildung eines eignen Rechts mit eigner Rechtsprechung begonnen, und so wird auf »negativem« Wege, nämlich durch allmähliches Abscheiden aller Andersgläubigen, das römische Kaiserrecht endlich zum Recht der Christen, welche sich zum Glauben des Kaisers bekennen. Das gibt dem in vielen Sprachen erhaltenen syrisch-römischen Rechtsbuch seine Bedeutung. Es ist [Lenel I, S. 380.] wahrscheinlich vorkonstantinisch und in der Kanzlei des Patriarchen von Antiochia entstanden, ein ganz unverkennbar früharabisches Gewohnheitsrecht in unbeholfener spätantiker Fassung, das, wie die Übersetzungen beweisen, seine Verbreitung der Opposition gegen die orthodoxe kaiserliche Kirche verdankt. Es ist zweifellos die Grundlage des Monophysitenrechts und herrscht bis zur Entstehung des islamischen Rechts auf einem Gebiet, welches den Geltungsbereich des
Corpus juris
weit übertrifft.
Es entsteht die Frage, welchen praktischen Wert in dieser Welt von Rechten der lateinisch geschriebene Teil wirklich besitzen konnte. Die Rechtshistoriker haben ihn mit der philologischen Einseitigkeit des Fachs bis jetzt allein beachtet und konnten deshalb nicht einmal bemerken,
daß
hier ein Problem vorliegt. Ihre Texte waren das Recht schlechthin, das Recht, welches von Rom zu uns kam. Für sie handelte es sich einzig darum, die Geschichte dieser Texte, nicht die ihrer tatsächlichen Bedeutung im Leben der östlichen Völker zu untersuchen. Aber hier ist das hochzivilisierte Recht einer greisen
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