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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Kultur der Frühzeit einer jungen aufgenötigt worden. Es kam als gelehrte Literatur herüber, und zwar infolge der politischen Entwicklung, die ganz anders geworden wäre, wenn Alexander und Cäsar länger gelebt oder Antonius bei Actium gesiegt hätte. Wir müssen die früharabische Rechtsgeschichte von Ktesiphon und nicht von Rom aus betrachten. Ist das innerlich längst abgeschlossene Recht des fernen Westens hier mehr als bloße Literatur gewesen? Welchen Anteil hatte es am wirklichen Rechtsdenken, der Rechtsschöpfung und Rechtspraxis dieser Landschaft? Und wieviel Römisches, ja Antikes überhaupt ist in ihm selbst erhalten geblieben? [Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht, S. 13, hat schon 1891 auf den orientalischen Zug in der Gesetzgebung Konstantins aufmerksam gemacht. Collinet,
Études historiques sur le droit de Justinien I
(1912) führt, übrigens meist auf Grund deutscher Forschungen, unendlich vieles auf hellenistisches Recht zurück; aber wieviel von diesem »Hellenistischen« war wirklich griechisch und nicht nur griechisch geschrieben? Die Ergebnisse der Interpolationenforschung sind für den »antiken« Geist der Digesten Justinians wahrhaft vernichtend.] Die Geschichte dieses lateinisch geschriebenen Rechts gehört seit 160 dem arabischen Osten; es ist vielsagend, daß sie in genauer Parallele zur Geschichte der jüdischen, christlichen und persischen Literatur verläuft. [Vgl. Bd. II, Kap. III, I.]
    Die klassischen Juristen (160–220) Papinian, Ulpian, Paulus waren Aramäer; Ulpian hat sich mit Stolz einen Phöniker aus Tyrus genannt. Sie entstammen also derselben Bevölkerung wie die Tannaim, welche bald nach 200 die Mischna abschlossen, und die meisten Apologeten des Christentums (Tertullian 160–223). Gleichzeitig ist von christlichen Gelehrten der Kanon und Text des Neuen, von jüdischen der des hebräischen Alten Testaments – unter Vernichtung sämtlicher anderer Handschriften –, von persischen der des Awesta festgestellt worden. Es
ist die Hochscholastik der arabischen Frühzeit
. Die Digesten und Kommentare dieser Juristen stehen zum erstarrten antiken Gesetzesstoff in genau demselben Verhältnis wie die Mischna zur Tora des Moses und viel später die Hadith zum Koran; sie sind »Halacha«, [Fromer, Der Talmud (1920), S. 190.] neues Gewohnheitsrecht, welches in der Form einer Interpretation der autoritativ überlieferten Gesetzesmasse erfaßt wurde. Die babylonischen Juden besaßen ein ausgebildetes Zivilrecht, das an den Hochschulen von Sura und Pumbadita gelehrt wurde. Es bildet sich überall ein Stand von Rechtsgelehrten, die
prudentes
der christlichen, die Rabbiner der jüdischen, später die Ulemas (persisch Mollas) der islamischen Nation; sie stellen Gutachten aus,
responsa
, arabisch Fetwa. Wird der Ulema staatlich anerkannt, so heißt er Mufti (byzantinisch »
ex auctoritate principis
«): die Formen sind überall ganz dieselben.
    Um 200 gehen die Apologeten in die eigentlichen Kirchenväter, die Tannaim in die Amoräer, die großen Kasuisten des Juristenrechts (»
jus
«) in die Erklärer und Sammler des Konstitutionsrechts (»
lex
«) über. Die Konstitutionen der Kaiser, seit 200 die einzige Quelle neuen »römischen« Rechts, sind wieder eine neue »Halacha« zu der in den Juristenschriften niedergelegten; sie entsprechen damit genau der Gemara, die sich sofort als Auslegung der Mischna entwickelt. Beide Richtungen sind gleichzeitig im Corpus juris und Talmud zum Abschluß gekommen.
    Der Gegensatz von
jus
und
lex
im arabisch-lateinischen Sprachgebrauch kommt in der Schöpfung Justinians sehr deutlich zum Ausdruck. Institutionen und Digesten sind
jus
; sie haben durchaus die Bedeutung kanonischer Texte. Konstitutionen und Novellen sind
leges
, neues Recht in Form von Erläuterungen. In demselben Verhältnis stehen die kanonischen Schriften des Neuen Testaments zur Tradition der Kirchenväter.
    Am orientalischen Charakter der Tausende von Konstitutionen zweifelt heute niemand mehr. Es ist echtes Gewohnheitsrecht der arabischen Welt, das unter dem Druck der lebendigen Entwicklung den gelehrten Texten unterschoben wurden mußte. [Mitteis, Röm. Privatrecht bis auf die Zeit Diokletians (1908), Vorwort, bemerkt, »wie unter Beibehaltung der antiken Rechtsformen das Recht selbst doch überall ein anderes geworden ist«.] Die zahllosen Erlasse des christlichen Herrschers in Byzanz, des persischen in Ktesiphon, des jüdischen, des Resch Galuta, in Babylonien, endlich des

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