Der Untergang des Abendlandes
der Boden ist etwas Wirkliches und Natürliches, das Geld etwas Abstraktes und Künstliches, eine bloße Kategorie wie »die Tugend« im Denken der Aufklärung. Daraus folgt, daß jede ursprüngliche, also stadtlose Wirtschaft von den kosmischen Mächten, dem Boden, dem Klima, dem Menschenschlage abhängig und damit in Schranken gehalten ist, während das Geld als reine Verkehrsform innerhalb des Wachseins einen von der Wirklichkeit ebensowenig begrenzten Kreis von Möglichkeiten hat wie die Größen der mathematischen und logischen Welt. Wie kein Blick auf die Tatsachen uns hindert, nichteuklidische Geometrien in beliebiger Zahl zu konstruieren, liegt innerhalb der ausgebildeten großstädtischen Wirtschaft kein Hindernis mehr vor, das »Geld« zu vermehren, gewissermaßen in andern Gelddimensionen zu denken, was mit der etwaigen Vermehrung des Goldes oder überhaupt der wirklichen Werte durchaus nichts zu tun hat. Es gibt keinen Maßstab und keine Art von Gütern, an denen man den Wert eines Talentes zur Zeit der Perserkriege und in der ägyptischen Beute des Pompejus vergleichen könnte. Das Geld ist für den Menschen als ζῷον οἱκονομικόν eine Form des tätigen Wachseins geworden, die keinerlei Wurzeln im Dasein mehr besitzt. Darauf beruht seine ungeheure Macht über jede beginnende Zivilisation, die jedesmal eine unbedingte
Diktatur dieses »Geldes«
in einer für jede Kultur verschiedenen Gestalt ist, darin aber auch der Mangel an Halt, durch den es zuletzt seine Macht und seinen Sinn verliert und aus dem Denken einer späten Zivilisation wie der Zeit Diokletians völlig verschwindet, um den bodenständigen Urwerten wieder Platz zu machen.
Es entsteht zuletzt das ungeheure Symbol und Behältnis des völlig frei gewordenen Geistes, die Weltstadt, der Mittelpunkt, in dem sich endlich der Gang der Weltgeschichte vollkommen konzentriert: jene ganz wenigen Riesenstädte aller reifen Zivilisationen, welche die gesamte Mutterlandschaft ihrer Kultur durch den Begriff Provinz ächten und entwerten. Provinz ist jetzt alles, Land, Kleinstadt
und
Großstadt, mit Ausnahme dieser zwei oder drei Punkte. Es gibt nicht mehr Adlige und Bürger, nicht mehr Freie und Sklaven, nicht mehr Hellenen und Barbaren, nicht mehr Rechtgläubige und Ungläubige, sondern nur noch
Weltstädtler und Provinzler
. Alle anderen Gegensätze verblassen vor diesem einen, der alle Ereignisse, Lebensgewohnheiten und Weltanschauungen beherrscht.
Die frühesten aller Weltstädte waren Babylon und das Theben des Neuen Reiches – die minoische Welt auf Kreta gehört trotz ihres Glanzes zur ägyptischen Provinz. In der Antike ist Alexandria das erste Beispiel; das alte Hellas ist mit einem Schlage Provinz geworden. Auch Rom und das neu bevölkerte Karthago, auch Byzanz haben es nicht verdrängt.In Indien waren die Riesenstädte Udjein, Kanaudj, vor allem Pataliputra bis nach China und Java hin berühmt; der märchenhafte Ruf von Bagdad und Granada im Abendlande ist bekannt. In der mexikanischen Welt ist, wie es scheint, das 950 gegründete Uxmal die erste Weltstadt der Mayareiche gewesen, die mit dem Emporkommen der toltekischen Weltstädte Tezcuco und Tenochtitlan Provinz wurden.
Man vergesse nicht, wo das Wort
provincia
zuerst auftaucht: es ist die staatsrechtliche Bezeichnung der Römer für Sizilien, mit dessen Unterwerfung zum erstenmal eine ehemals führende Kulturlandschaft zum unbedingten Objekt herabsinkt. Syrakus war die früheste wirkliche Großstadt der antiken Welt gewesen, als Rom noch eine bedeutungslose Landstadt war. Von nun an ist es Rom gegenüber eine Provinzstadt. Und ganz in demselben Sinne waren im 17. Jahrhundert das habsburgische Madrid und das päpstliche Rom führende Großstädte, bis sie von den Weltstädten London und Paris seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts zum Range der Provinz herabgedrückt wurden. Der Aufstieg von New York zur Weltstadt durch den Sezessionskrieg 1861–65 ist vielleicht das folgenschwerste Ereignis des vorigen Jahrhunderts.
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Der Steinkoloß »Weltstadt« steht am Ende des Lebenslaufes einer jeden großen Kultur. Der vom Lande seelisch gestaltete Kulturmensch wird von seiner eigenen Schöpfung, der Stadt, in Besitz genommen, besessen, zu ihrem Geschöpf, ihrem ausführenden Organ, endlich zu ihrem Opfer gemacht. Diese steinerne Masse ist die
absolute
Stadt. Ihr Bild, wie es sich mit seiner großartigen Schönheit in die Lichtwelt des menschlichen Auges zeichnet, enthält die ganze
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