Der Untergang des Abendlandes
feine Takt in Wortwahl und Ausdrucksweise. Alles das ist Merkmal der
Rasse
; das lernt man nicht in Klosterzelle und Gelehrtenstube, sondern im vornehmen Umgang und am lebendigen Vorbild. Im adligen Kreise und als Standesmerkmal ist die Sprache Homers [Man muß sich gerade deshalb klar machen, daß die erst in der Kolonialzeit schriftlich fixierten Gesänge nur in einer städtischen Literatur- und nicht in der höfischen Umgangssprache vorliegen können, in welcher sie zuerst vorgetragen worden sind.] und ebenso das Altfranzösische der Kreuzzüge und das Mittelhochdeutsche der Stauferzeit aus ländlichen Gewohnheiten emporgebildet worden. Bezeichnet man die großen Epiker, die Skalden und Troubadours als ihre Schöpfer, so sollte man nicht vergessen, daß sie für diese Aufgabe durch den Standeskreis, in dem sie sich bewegten,
auch sprachlich
erst geschult worden sind. Diese große Tat, mit welcher die Kultur mündig wird, ist die Leistung einer Rasse und nicht die einer Zunft.
Die geistliche Sprachkultur geht auf Begriffe und Schlüsse aus. Sie arbeitet daran, die dialektische Tauglichkeit der Worte und Satzformen bis aufs Äußerste zu steigern: so entsteht ein immer wachsender Unterschied zwischen dem scholastischen und höfischen, dem verstandesmäßigen und gesellschaftlichen Sprachgebrauch, und es gibt über alle Grenzen der Sprachfamilien hinaus etwas Gemeinsames in der Ausdrucksweise Plotins und des Thomas von Aquino, in Veda und Mischna. Hier liegt der Ausgangspunkt jeder reifen Gelehrtensprache, die im Abendland, ob deutsch, englisch oder französisch, noch heute nicht die letzten Spuren ihrer Herkunft aus dem scholastischen Latein abgestreift hat, und also auch der Ursprung aller Methodik der Fachausdrücke und der Satzformen des Schlusses. Bis tief in die Spätzeit hinein pflanzt sich dieser Gegensatz zwischen den Verständigungsweisen der großen Welt und der Wissenschaft fort. Der Schwerpunkt der französischen Sprachgebiete liegt mit Entschiedenheit auf Seiten der Rasse, also des Sprechens, am Hofe zu Versailles und in den Pariser Salons. Hier ist der
esprit précieux
der Artusromane fortgepflanzt und zu der das ganze Abendland beherrschenden Konversation, der klassischen Kunst des Sprechens, erhoben worden. Es hat der griechischen Philosophie die größten Schwierigkeiten bereitet, daß auch das Ionisch-Attische durchaus an Tyrannenhöfen und in Symposien ausgebildet worden ist. Es war später fast unmöglich, in der Sprache des Alkibiades über Syllogistik zu reden. Andererseits schwankt die deutsche Prosa, die in der entscheidenden Zeit des Barock überhaupt keinen Mittelpunkt für eine hohe Ausbildung fand, stilistisch noch heute zwischen französischen und lateinischen – höfischen und gelehrten – Wendungen hin und her, je nachdem man sich gut oder genau ausdrücken will; und auch unsere Klassiker haben es dank ihrer sprachlichen Herkunft von Kanzel und Gelehrtenstube und ihrem Aufenthalt als Erzieher in Schlössern und an kleinen Höfen wohl zu einem persönlichen Stil, den man nachahmen kann, aber nicht zur Schöpfung einer für alle verbindlichen, spezifisch deutschen Prosa gebracht.
Zu diesen Standessprachen tritt mit der Stadt die dritte und letzte, die des Bürgertums, die eigentliche Schriftsprache, verständig, zweckmäßig, Prosa im strengsten Sinne des Wortes. Sie schwankt leise zwischen vornehm geselligen und gelehrten Ausdrucksweisen, dort auf immer neue Wendungen und Modeworte bedacht, hier an den vorhandenen Begriffen eigensinnig festhaltend. In ihrem Wesenskern aber ist sie
wirtschaftlicher
Natur. Sie fühlt sich durchaus als Standeskennzeichen gegenüber der geschichtslos-ewigen Redeweise des »Volkes«, deren sich Luther und andere zum großen Ärger ihrer feinen Zeitgenossen bedienten. Mit dem endgültigen Siege der Stadt nehmen diese Stadtsprachen auch die der vornehmen Welt und der Wissenschaft in sich auf. Es entsteht in der Oberschicht weltstädtischer Bevölkerungen eine gleichförmige, intelligente, praktische, den Dialekten und der Poesie abgeneigte κοινή, wie sie zur Symbolik jeder Zivilisation gehört, etwas ganz Mechanisches, präzis, kalt und mit einer auf ein Minimum beschränkten Geste. Diese letzten, heimat- und wurzellosen Sprachen können von jedem Händler und Lastträger gelernt werden, das Hellenische in Karthago und am Oxus, das Chinesische auf Java, das Englische in Schanghai, und das »Sprechen« ist für ihr Verständnis bedeutungslos. Fragt man
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