Der Untergang des Abendlandes
Schulen für die türkenfeindliche Bevölkerung gegründet. Wenn in einem Dorfe zufällig serbisch unterrichtet wurde, so bestand schon die folgende Generation aus fanatischen Serben. Die heutige Stärke der »Nationen« ist also lediglich eine Folge der früheren Schulpolitik.] Wollte man daraus eine Wanderungsgeschichte aufbauen, so würde ein seltsames Produkt verfehlter Methoden die Folge sein. Das Dorische ist eine Dialektbezeichnung; weiteres wissen wir nicht. Zweifellos haben sich einige Dialekte dieser Gruppe schnell verbreitet, aber für die Verbreitung oder selbst das Vorhandensein eines zugehörigen Menschenschlages ist das durchaus kein Beweis. [Über die Skepsis Belochs bezüglich der angeblichen Dorischen Wanderung vgl. seine Griechische Geschichte I, 2, Abschn. VIII.]
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Hier stehen wir vor dem Lieblingsbegriff des modernen Geschichtsdenkens. Trifft ein Historiker heute auf ein Volk, das etwas geleistet hat, so ist er ihm gewissermaßen die Frage schuldig: von woher kam es? Es gehört zum Anstand eines Volkes, von irgendwoher gekommen zu sein und eine Urheimat zu haben. Daß es auch dort zu Hause sein könne, wo man es vorfindet, ist eine fast beleidigende Annahme. Wandern ist ein beliebtes Sagenmotiv ursprünglicher Menschheit, aber seine Anwendung in der ernsthaften Forschung ist nachgerade zu einer Manie geworden. Ob überhaupt die Chinesen nach China, die Ägypter nach Ägypten eingedrungen sind, danach wird nicht gefragt; nur das Wann und Woher steht in Frage. Man würde lieber die Semiten aus Skandinavien und die Arier aus Kanaan stammen lassen, als auf den Begriff einer Urheimat verzichten.
Nun liegt die Tatsache einer starken Bewegtheit aller frühen Bevölkerungen unzweifelhaft vor. Das Libyerproblem birgt ein solches Geheimnis. Die Libyer oder ihre Vorfahren sprachen hamitisch, waren aber körperlich, wie schon die altägyptischen Reliefs beweisen, hochgewachsen, blond und blauäugig und also zweifellos von nordeuropäischer Herkunft. [C. Mehlis, Die Berberfrage (Archiv f. Anthropologie 39, S. 249 ff.), wo auch über die Verwandtschaft norddeutscher und mauretanischer Keramik und sogar vieler Fluß- und Bergnamen berichtet wird. Die alten Pyramidenbauten in Westafrika sind einerseits den nordischen Hünengräbern, andererseits den Königsgräbern des Alten Reiches nahe verwandt. (Einige Abbildungen bei L. Frobenius, Der kleinafrikanische Grabbau, 1916.)] In Kleinasien sind wenigstens drei Wanderschichten seit 1300 gesichert, die vielleicht zu den Angriffen der nordischen »Seevölker« auf Ägypten in Beziehung stehen, und Ähnliches ist für die mexikanische Welt nachgewiesen. Aber wir wissen über das Wesen dieser Bewegungen gar nichts, und von Wanderungen, wie sie sich der Historiker heute gern vorstellt, wonach geschlossene Völker wie große Massenkörper die Länder durchziehen, einander verdrängen und bekämpfen, um sich zuletzt irgendwo festzusetzen, kann gewiß nicht die Rede sein. Es ist nicht die Veränderung an sich, sondern diese Vorstellung von ihr, welche unsere Ansichten vom Wesen der Völker verdorben hat. Völker im heutigen Sinne wandern nicht und was damals wanderte, bedarf einer sehr vorsichtigen Bezeichnung und verträgt nicht überall dieselbe. Auch das ewig wiederholte Motiv dieser Wanderzüge ist platt und des vorigen Jahrhunderts würdig: die materielle Not. Hunger hätte zu ganz anderen Versuchen geführt und ist sicherlich der letzte aller Gründe gewesen, der Rassemenschen aus ihrem Neste trieb – obwohl man es verstehen wird, daß er am häufigsten geltend gemacht wurde, wenn solche Scharen plötzlich auf ein militärisches Hindernis stießen. Es ist ohne Zweifel in diesen starken und einfachen Menschen der ursprüngliche mikrokosmische Drang nach Bewegung im weiten Räume gewesen, der sich aus tiefster Seele als Abenteuerlust, Wagemut, Schicksalszug, als Hang nach Macht und Beute erhob, als eine leuchtende Sehnsucht nach Taten, wie wir sie uns gar nicht mehr vorstellen können, nach fröhlichem Gemetzel und heldenmütigem Tod; oft wird es heimatlicher Zwist und Flucht vor der Rache des Stärkeren gewesen sein, aber stets etwas Männliches und Starkes. Und das steckte an. Der war ein Feigling, der auf seinem Gute sitzen blieb. Oder sind etwa noch die Kreuzzüge, die Fahrten des Cortez und Pizarro und noch in unseren Zeiten die Abenteuer der Trapper im wilden Westen der Union durch die gemeine Not des Lebens veranlaßt worden? Wo in der Geschichte eine kleine
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