Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
Vom Netzwerk:
Geschichte, die Abstammung, die Sprache oder auch nur die Identität seiner Träger schließen? Es ist wieder ein Fehler der Forscher, daß sie das Verhältnis zwischen beiden nicht theoretisch, aber praktisch so einfach aufgefaßt haben wie etwa bei heutigen Personennamen. Hat man überhaupt eine Vorstellung von der Zahl der hier vorliegenden Möglichkeiten? Unendlich wichtig ist schon der Akt der Namengebung unter frühen Verbänden. Mit dem Namen hebt sich eine Menschengruppe selbstbewußt mit einer Art sakraler Größe heraus. Aber hier können Kult- und Kriegernamen nebeneinander stehen, andere können im Lande vorgefunden oder ererbt sein, der Stammname kann gegen den eines Helden ausgetauscht werden wie bei den Osmanen und endlich können in unbegrenzter Zahl an allen Grenzen Fremdnamen entstehen, die vielleicht nur einem Teil der Volksgenossen bekannt und geläufig sind. Sind
nur
solche Namen überliefert, so führt beinahe jeder Schluß auf die Träger notwendig zu einem Irrtum. Die zweifellos sakralen Namen der Franken, Alemannen und Sachsen haben die große Menge von Namen aus der Zeit der Varusschlacht abgelöst. Wüßten wir das nicht, so wären wir längst überzeugt, daß hier eine Verdrängung oder Vernichtung älterer Stämme durch neu eindringende stattgefunden hätte. Die Namen Römer und Quiriten, Spartaner und Lakedämonier, Karthager und Punier bestehen nebeneinander – da war die Möglichkeit vorhanden, zwei Völker anzunehmen. In welcher Beziehung die Namen Pelasger, Achäer, Danaer untereinander gestanden haben und welche Tatsachen dem zugrunde hegen, werden wir nie erfahren. Hätten wir nur diese Worte, so würde die Forschung längst einem jeden ein Volk – nebst Sprache und Rassezugehörigkeit – unterlegt haben. Hat man nicht aus der Landschaftsbezeichnung Doris auf den Gang der Dorischen Wanderung schließen wollen? Wie oft mag ein Volk einen Ländernamen eingetauscht und mitgenommen haben? Der Fall liegt bei der heutigen Bezeichnung Preußen vor, aber auch bei den modernen Parsen, Juden und Türken, der umgekehrte in Burgund und der Normandie. Der Name Hellenen entstand um 650; eine Bevölkerungsbewegung ist damit also nicht verknüpft. Lothringen erhielt den Namen eines gänzlich bedeutungslosen Fürsten, und zwar infolge einer Erbteilung und nicht durch ein eingewandertes Volk. Die Deutschen hießen in Paris 1814 Allemands, 1870 Prussiens, 1914 Boches; zu anderen Zeiten hätte man drei verschiedene Völker dahinter entdeckt. Die Westeuropäer heißen im Orient Franken, die Juden Spaniolen – das geht auf historische Umstände zurück; aber was hätte ein Philologe aus den Worten
allein
geschlossen?
    Es ist nicht abzusehen, zu was für Ergebnissen Gelehrte im Jahre 3000 kommen könnten, wenn sie dann noch nach heutigen Methoden mit Namen, Sprachresten und den Begriffen von Urheimat und Wanderung arbeiten. Die Deutschritter haben im 13. Jahrhundert die heidnischen Preußen vertrieben. 1870 erscheint dies Volk auf seiner Wanderung plötzlich vor Paris. Die Römer, von den Goten bedrängt, sind vom Tiber an die untere Donau ausgewandert. Oder sollte gar ein Teil nach Polen gelangt sein, wo man auf dem Reichstag lateinisch sprach? Karl der Große schlug die Sachsen an der Weser, die daraufhin in die Gegend von Dresden auswanderten, während die Hannoveraner – dem Dynastienamen nach von ihren Ursitzen an der Themse kommend – das Land einnahmen. Die Historiker haben statt der Geschichte von Völkern die von Namen geschrieben, aber Namen haben ihre eigenen Schicksale und ebensowenig wie diese beweisen die Sprachen, ihre Wanderungen, Änderungen, Siege und Niederlagen etwas auch nur für das Vorhandensein zugehöriger Völker. Dies ist ein Grundirrtum vor allem der indogermanischen Forschung. Wenn in historischer Zeit die Namen Pfalz und Kalabrien gewandert sind, das Hebräische von Palästina nach Warschau, das Persische vom Tigris nach Indien verschlagen wurde, was läßt sich dann aus der Geschichte des Etruskernamens und der angeblich »tyrsenischen« Inschrift von Lemnos schließen? Oder haben die Franzosen mit den Haitinegern, wie die gemeinsame Sprache beweist, einst ein Urvolk gebildet? In dem Gebiet zwischen Budapest und Konstantinopel werden heute zwei mongolische, eine semitische, zwei antike und drei slawische Sprachen geredet und diese Sprachgemeinschaften fühlen sich sämtlich als Völker. [In Mazedonien haben Serben, Bulgaren und Griechen im 19. Jahrhundert christliche

Weitere Kostenlose Bücher