Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
Vom Netzwerk:
nach ihrem eigentlichen Schöpfer, so ist es nicht der Geist einer Rasse oder einer Religion, sondern lediglich der Geist der Wirtschaft.
     

III. Urvölker, Kulturvölker, Fellachenvölker
15
    Nun endlich ist es möglich, mit äußerster Vorsicht dem Begriffe »Volk« näher zu treten und Ordnung in das Chaos von Völkerformen zu bringen, das die Geschichtsforschung der Gegenwart nur noch gesteigert hat. Es gibt kein zweites Wort, das so oft und zugleich so völlig kritiklos gebraucht worden ist, keines, das der schärfsten Kritik so dringend bedurft hätte. Selbst sehr vorsichtige Historiker setzen, nachdem sie sich um eine theoretische Klärung bis zu einem gewissen Grade bemüht haben, im Verlauf der weiteren Untersuchung Völker, Rasseteile und Sprachgemeinschaften wieder völlig gleich. Finden sie einen Völkernamen, so gilt er ohne weiteres auch als Sprachbezeichnung, entdecken sie eine Inschrift von drei Worten, so haben sie einen Rassezusammenhang festgestellt. Stimmen einige »Wurzeln« überein, so taucht ein Urvolk mit einer Urheimat in der Ferne auf. Das moderne Nationalgefühl hat dies »Denken in Volkseinheiten« nur noch gesteigert.
    Aber sind die Hellenen, die Dorer oder die Spartaner ein Volk? Die Kelten, Gallier und Senoner? Waren die Römer ein Volk, was waren dann die Latiner? Und was für eine Einheit ist mit dem Etruskernamen innerhalb der Bevölkerung Italiens etwa um 400 gemeint? Hat man nicht gar ihre »Nationalität« vom Bau ihrer Sprache abhängig gemacht, und ebenso die der Basken und Thraker? Und was für Volksbegriffe liegen den Worten Amerikaner, Schweizer, Juden, Buren zugrunde? Blut, Sprache, Glaube, Staat, Landschaft – was von alledem ist für die Völkerbildung maßgebend? Im allgemeinen werden Sprach- und Blutsverwandtschaft nur auf gelehrtem Wege festgestellt. Der Einzelne ist sich ihrer durchaus nicht bewußt. Indogermane ist nichts weiter als ein wissenschaftlicher und zwar philologischer Begriff. Der Versuch Alexanders des Großen, Griechen und Perser zu verschmelzen, ist völlig gescheitert, und die Stärke des englisch-deutschen Gemeingefühls erleben wir gerade jetzt. Volk ist aber ein Zusammenhang, dessen man sich
bewußt
ist. Man beachte doch den üblichen Sprachgebrauch. Jeder Mensch bezeichnet die Gemeinschaft, die ihm innerlich am nächsten steht – und er gehört vielen an – mit Pathos als sein »Volk«. [Das geht so weit, daß die großstädtische Arbeiterschaft sich als das Volk bezeichnet und damit das Bürgertum, mit dem sie kein Gemeingefühl verbindet, von diesem Begriffe ausschließt; aber das Bürgertum von 1789 hatte es nicht anders gemacht.] Er ist dann geneigt, diesen ganz besonderen Begriff, der aus einem persönlichen Erlebnis stammt, auf die verschiedenartigsten Verbände anzuwenden. Für Cäsar waren die Arverner eine
civitas
, für uns sind die Chinesen eine »Nation«. Deshalb waren nicht die Griechen, sondern die Athener ein Volk, und nur einzelne von ihnen wie Isokrates haben sich
vor allem
als Hellenen gefühlt. Deshalb kann von zwei Brüdern der eine sich einen Schweizer und der andere mit dem gleichen Recht einen Deutschen nennen. Das sind nicht gelehrte Begriffe, sondern geschichtliche Tatsachen. Volk ist ein Verband von Männern, der sich als Ganzes fühlt. Erlischt das Gefühl, so kann der Name und jede einzelne Familie fortbestehen – das Volk aber hat zu bestehen aufgehört. Die Spartiaten fühlten sich in
diesem
Sinne als Volk, die »Dorer« vielleicht um 1100, um 400 sicherlich nicht. Die Kreuzfahrer wurden durch den Schwur von Clermont zu einem echten Volke, die Mormonen durch ihre Vertreibung aus Missouri (1839), [Ed. Meyer, Ursprung und Geschichte der Mormonen (1912), S. 128 ff.] die Mamertiner, entlassene Söldner des Agathokles, durch die Notwendigkeit, sich einen Zufluchtsort zu erkämpfen. Ist das volksbildende Prinzip bei den Jakobinern und den Hyksos sehr verschieden gewesen? Wie viele Völker mögen aus einem Häuptlingsgefolge entstanden sein oder aus einer Schar von Flüchtlingen? Ein solcher Verband kann die Rasse wechseln wie die Osmanen, die als Mongolen in Kleinasien erschienen sind, die Sprache wie die sizilischen Normannen, den Namen wie die Achäer oder Danaer. Solange das Gemeingefühl dauert, ist das Volk als solches vorhanden.
    Von dem Schicksal der Völker haben wir das der Völker
namen
zu unterscheiden. Sie sind oft das einzige, wovon eine Kunde übrig bleibt; aber kann man von einem Namen irgendwie auf die

Weitere Kostenlose Bücher