Der Untergang des Abendlandes
steht für sich und ist örtlich begrenzt, alle diese Tempel, Katakomben, Mithräen, Hauskapellen sind Kultorte, an welche die Gottheit nicht ausdrücklich, aber gefühlsmäßig gebunden ist; aber trotzdem liegt magisches Empfinden in dieser Frömmigkeit. Antike Kulte übt man aus, und zwar in beliebiger Zahl, von diesen
gehört man einem einzigen an
. Die Mission ist dort undenkbar, hier ist sie selbstverständlich, und der Sinn religiöser Übungen verschiebt sich deutlich nach der lehrhaften Seite.
Mit dem Hinschwinden der apollinischen und dem Aufblühen der magischen Seele seit dem zweiten Jahrhundert kehrt sich das Verhältnis um. Das Verhängnis der Pseudomorphose bleibt, aber es sind jetzt Kulte des Westens,
die zu einer neuen Kirche des Ostens werden
. Aus der Summe von Einzelkulten entwickelt sich eine Gemeinschaft derer, welche an diese Gottheiten und Übungen glauben, und nach dem Vorgange des Persertums und Judentums entsteht ein neues Griechentum als magische Nation. Aus der sorgfältig festgelegten Form der Einzelhandlung bei Opfern und Mysterien wird ein Art Dogma über den Gesamtsinn dieser Akte. Die Kulte können sich gegenseitig vertreten; man übt sie nicht eigentlich aus, sondern »hängt ihnen an«. Und aus der
Gottheit des Ortes
wird, ohne daß jemand sich der Schwere dieser Wandlung bewußt wäre,
die am Orte gegenwärtige Gottheit.
So sorgfältig der Synkretismus seit Jahrzehnten durchforscht ist, so wenig hat man doch den Grundzug seiner Entwicklung, zuerst die Verwandlung östlicher Kirchen in westliche Kulte und dann mit umgekehrter Tendenz die Entstehung der Kultkirche, erkannt. [Infolgedessen erscheint er als formloser Mischmasch aller denkbaren Religionen. Nichts ist weniger richtig. Die Formenbildung geht erst von West nach Ost, dann von Ost nach West.] Aber die Religionsgeschichte der frühchristlichen Jahrhunderte ist anders gar nicht zu verstehen. Der Kampf zwischen Christus und Mithras als Kultgottheiten in Rom erhält jenseits von Antiochia die Form eines Kampfes zwischen der persischen und der christlichen Kirche. Aber der schwerste Krieg, den das Christentum zu führen hatte, nachdem es selbst der Pseudomorphose verfallen und deshalb mit dem Antlitz seiner geistigen Entwicklung nach Westen gerichtet war, galt nicht der wirklichen antiken Religion, die es kaum noch zu Gesicht bekam und deren öffentliche Stadtkulte innerlich längst erstorben und ohne jede Macht über die Gemüter waren, sondern dem Heidentum oder Griechentum
als einer neuen und kraftvollen Kirche
, die aus demselben Geist entstanden war wie es selbst. Es gab zuletzt im Osten des Imperiums nicht
eine
Kultkirche, sondern
zwei
, und wenn die eine nur aus Christusgemeinden bestand, so verehrten die Gemeinden der andern unter tausend Namen mit Bewußtsein ein und dasselbe göttliche Prinzip.
Es ist viel über antike Toleranz geredet worden. Man erkennt das Wesen einer Religion vielleicht am klarsten aus den Grenzen ihrer Toleranz und es gab auch für die alten Stadtkulte solche Grenzen. Daß sie stets in Mehrzahl vorhanden waren und ausgeübt wurden, gehört zu ihrem eigentlichen Sinn und bedurfte deshalb überhaupt keiner Duldung. Aber man setzte von jedem voraus, daß er vor der kultischen Form als solcher Achtung habe. Wer, wie manche Philosophen oder auch Anhänger fremdartiger Religionen, diese Achtung durch Wort oder Tat versagte, lernte auch das Maß antiker Duldung kennen. Etwas ganz anderes liegt den Verfolgungen magischer Kirchen untereinander zugrunde; da ist es die henotheistische Pflicht gegen den wahren Glauben, welche die
Anerkennung
des falschen verbietet. Antike
Kulte
hätten den Jesuskult unter sich ertragen. Die Kult
kirche
mußte die Jesuskirche angreifen. Alle großen Christenverfolgungen, denen die späteren Heidenverfolgungen genau entsprechen, sind von ihr und nicht vom »römischen« Staate ausgegangen, und sie waren nur insofern politisch, als auch die Kultkirche zugleich Nation und Vaterland war. Man wird bemerken, daß unter der Maske der Kaiserverehrung sich zwei religiöse Bräuche verbergen – in den antiken Städten des Westens, Rom an der Spitze, entstand der Einzelkult des
divus
als letzter Ausdruck jenes euklidischen Gefühls, wonach es einen rechtlichen und also auch sakralen Übergang vom
soma
des Bürgers zu dem eines Gottes gab; im Osten wurde daraus ein Bekenntnis zum Kaiser als dem Heiland und Gottmenschen, dem Messias aller Synkretisten, das deren Kirche durch eine
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