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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Auge als Frucht spätantiken Geistes gilt, nichts als der Widerschein früharabischer Innerlichkeit. Damit stehen wir vor der Pseudomorphose der magischen Religion.
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    Die antike Religion lebt in einer ungeheuren Zahl von
Einzelkulten
, die, in dieser Gestalt dem apollinischen Menschen natürlich und selbstverständlich, jedem Fremden in ihrem eigentlichen Wesen so gut wie verschlossen sind. Sobald Kulte von solcher Art entstanden, gab es eine antike Kultur. Sobald sie in später Römerzeit ihr Wesen veränderten, war die Seele dieser Kultur zu Ende. Außerhalb der antiken Landschaft sind sie niemals echt und lebendig gewesen. Das Göttliche ist stets an einen
einzelnen Ort gebunden
und auf ihn beschränkt. Das entspricht dem statischen und euklidischen Weltgefühl. Das Verhalten des Menschen zur Gottheit hat die Form eines ebenfalls ortsgebundenen Kultes, dessen Bedeutung
im Bilde
der rituellen Handlung und nicht in deren dogmatischem Hintersinn liegt. Wie die Bevölkerung in zahllose nationale Punkte, so zerfällt ihre Religion in diese winzigen Kulte, deren jeder von jedem andern vollständig unabhängig ist.
Nicht ihr Umfang, sondern nur ihre Anzahl
kann zunehmen. Es ist die einzige Form des Wachstums innerhalb der antiken Religion und sie schließt jede Mission vollständig aus. Denn diese Kulte übt man aus, aber man gehört ihnen nicht an; es gibt keine antiken »Gemeinden«. Wenn spätes Denken in Athen etwas Allgemeineres im Göttlichen und Kultischen annimmt, so ist das nicht Religion, sondern Philosophie, die sich auf das Denken einzelner beschränkt und auf das Empfinden der Nation, nämlich der Polis, nicht im geringsten einwirkt. Im schärfsten Gegensatz dazu steht die sichtbare Form der magischen Religion, die Kirche, die Gemeinschaft der Rechtgläubigen, die keine Heimat und keine irdische Grenze kennt. Von der magischen Gottheit gilt das Wort Jesu: »Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.« Es versteht sich, daß für jeden Gläubigen nur ein Gott der wahre und gute sein kann, die Götter der andern aber falsch und böse sind. [Und nicht etwa »nicht vorhanden«. Es heißt das magische Weltgefühl mißverstehen, wenn man in die Bezeichnung »der wahre Gott« eine faustisch-dynamische Bedeutung legt. Der Götzendienst, den man bekämpft, setzt die volle Wirklichkeit der Götzen und Dämonen voraus. Die israelitischen Propheten haben nicht daran gedacht, die Baale zu leugnen, und ebenso sind Mithras und Isis für die frühen Christen, Jehovah für den Christen Marcion, Jesus für die Manichäer teuflische, aber höchst reale Mächte. Daß man »an sie nicht glauben« soll, ist ein Ausdruck ohne Sinn für das magische Empfinden; man soll sich nicht an sie wenden. Das ist, nach einer längst geläufigen Bezeichnung, Henotheismus, nicht Monotheismus.] Die Beziehung zwischen diesem Gott und dem Menschen ruht nicht im Ausdruck, sondern in der geheimen Kraft, in der Magie gewisser symbolischer Handlungen: damit sie wirksam sind, muß man ihre Form und Bedeutung genau kennen und sie danach ausüben. Die Kenntnis dieser Bedeutung ist ein Besitz der Kirche – sie ist die Kirche selbst als die Gemeinschaft der Kenner – und damit liegt der Schwerpunkt jeder magischen Religion nicht im Kult, sondern in einer Lehre, im
Bekenntnis
.
    Solange die Antike sich seelisch aufrecht hielt, bestand die Pseudomorphose darin, daß alle Kirchen des Ostens in Kulte westlichen Stils überführt wurden. Das ist eine wesentliche Seite des Synkretismus. Die persische Religion dringt als Mithraskult ein, die chaldäisch-syrische in den Kulten der Gestirngötter und Baale (Jupiter Dolichenus, Sabazios, Sol Invictus, Atargatis), das Judentum in Gestalt eines Jahwekultes, denn die ägyptischen Gemeinden der Ptolemäerzeit lassen sich nicht anders bezeichnen, [Schürer, Gesch. d. jüd. Volkes im Zeitalter Jesu Christi, III, S. 499. Wendland, Die hellenist.-röm. Kultur, S. 192.] und auch das früheste Christentum, wie die Paulinischen Briefe und die römischen Katakomben deutlich erkennen lassen, als Jesuskult. Mögen alle diese Kulte, die etwa seit Hadrian die der echt antiken Stadtgötter völlig in den Hintergrund drängen, noch so laut den Anspruch erheben, eine Offenbarung des einzig wahren Glaubens zu sein – Isis nennt sich
deorum dearumque facies uniformis
–, so tragen sie doch sämtliche Merkmale des antiken Einzelkultes: sie vermehren deren Zahl ins Unendliche; jede Gemeinde

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