Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
Vom Netzwerk:
babylonische Mondwoche durch die Planetenwoche ersetzt. Die volkstümlichste Gestalt der alten Religion war Ischtar gewesen, die Göttin des Lebens und der Fruchtbarkeit. Jetzt ist sie ein Planet. Tammuz, der sterbende und im Frühling wieder auferstehende Vegetationsgott, wird ein Fixstern. Es meldet sich endlich das henotheistische Gefühl. Für den großen Nebukadnezar ist Marduk der eine und wahre Gott der Barmherzigkeit und Nabu, der alte Gott von Borsippa, sein Sohn und Sendbote zu den Menschen. Chaldäerkönige haben ein Jahrhundert hindurch (625–539) die Welt beherrscht, aber sie waren auch die Verkünder der neuen Religion. Sie selbst haben zu den Tempelbauten Ziegel getragen. Von Nebukadnezar, dem Zeitgenossen des Jeremia, besitzen wir noch das Gebet an Marduk bei seiner Thronbesteigung. An Tiefe und Reinheit steht es neben den besten Stücken israelitischer Prophetendichtung. Die chaldäischen Bußpsalmen, auch in Rhythmus und innerem Bau den jüdischen eng verwandt, kennen die Schuld, deren der Mensch sich nicht bewußt ist, und das Leid, das durch reumütiges Bekennen vor dem zürnenden Gott abgewehrt werden kann. Es ist dasselbe Vertrauen auf die Barmherzigkeit der Gottheit, das auch in den Inschriften des Baalstempels von Palmyra einen wahrhaft christlichen Ausdruck gefunden hat. [J. Hehn, Hymnen und Gebete an Marduk (1905).]
    Der Kern der prophetischen Lehre ist bereits magisch: Es gibt
einen
wahren Gott als Prinzip des Guten, mag es Jahwe, Ahura mazda oder Marduk-Baal sein; die andern Gottheiten sind ohnmächtig oder böse. An ihn knüpft sich die messianische Hoffnung, sehr deutlich bei Jesaja, aber mit innerer Notwendigkeit in den folgenden Jahrhunderten überall durchbrechend. Es ist der magische Grundgedanke; in ihm liegt die Annahme eines welthistorischen Kampfes zwischen gut und böse, mit der Macht des Bösen über die mittlere Zeit und dem Endsieg des Guten am Jüngsten Tage. Diese Moralisierung der Weltgeschichte ist Persern, Chaldäern und Juden gemeinsam. Aber mit ihr wird auch schon der Begriff des bodenständigen Volkes aufgelöst und die Entstehung magischer Nationen ohne irdische Heimat und Grenze vorbereitet. Der Begriff des auserwählten Volkes taucht auf, [Chaldäer und Perser brauchten ihn sich nicht zu beweisen; sie hatten durch ihren Gott die Welt besiegt. Die Juden aber mußten sich an ihre Literatur klammern, die jetzt aus Mangel an einem tatsächlichen zu einem theoretischen Beweis umgestaltet wurde. Dieser einzigartige Besitz verdankt seinen Ursprung letzten Endes der beständig drohenden Selbstverachtung.] aber es ist begreiflich, daß die Menschen von starker Rasse, die großen Geschlechter voran, solch allzu geistliche Gedanken innerlich ablehnten und dem Prophetentum gegenüber auf den alten kräftigen Stammesglauben verwiesen. Nach den Untersuchungen von Cumont war die Religion der persischen Könige polytheistisch und ohne das Haomasakrament, also nicht ganz diejenige Zarathustras; dasselbe gilt von den meisten israelitischen Königen und aller Wahrscheinlichkeit nach von dem letzten Chaldäer Naboned, der gerade wegen seiner Ablehnung der Mardukreligion von Kyros mit Hilfe des eignen Volkes gestürzt werden konnte. Die Beschneidung und die – chaldäische – Sabbatfeier sind als jüdische Sakramente erst Erwerbungen des Exils.
    Aber das babylonische Exil hatte zwischen Juden und Persern doch einen gewaltigen Unterschied geschaffen, nicht in den letzten Wahrheiten des frommen Wachseins, aber in allen Tatsachen des wirklichen Lebens und damit auch in den tiefsten Gefühlen diesem Leben gegenüber. Es waren die Jahwegläubigen, die heimkehren
durften
, und die Anhänger Ahura mazdas, die es ihnen
erlaubten
. Von zwei kleinen Stammesgruppen, die zweihundert Jahre vorher vielleicht die gleiche Zahl von waffenfähigen Männern besaßen, hatte die eine die Welt in Besitz genommen, und während Darius im Norden die Donau überschritt, dehnte seine Macht sich im Süden über Ostarabien bis zur Insel Sokotra an der Somaliküste aus; [Glaser, Die Abessinier in Arabien und Afrika (1895), S. 124. Gl. ist überzeugt, daß man hier wichtige abess., Pehlewi- und pers. Keilinschriften finden werde.] die andere war ein gänzlich bedeutungsloses Objekt fremder Politik.
    Das hat die eine Religion so herrenmäßig, die andere so unterwürfig gemacht. Man lese Jeremia und dann die große Behistuninschrift des Darius – was für ein prachtvoller Stolz des Königs auf seinen siegreichen

Weitere Kostenlose Bücher