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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Gott! Und wie verzweifelt sind die Gründe, mit denen die israelitischen Propheten das Bild ihres Gottes in sich zu retten suchen. Hier, im Exil, wo durch die persischen Siege die Augen aller Juden sich auf die zarathustrische Lehre richteten, geht das rein jüdische Prophetentum (Amos, Hosea, Jesaja, Jeremia) in das apokalyptische über (Deuterojesaja, Hesekiel, Sacharja). Alle die neuen Visionen vom Menschensohn, vom Satan, den Erzengeln, den Sieben Himmeln, dem Jüngsten Gericht sind
persische Fassungen des gemeinsamen Weltgefühls
. Jesaja 41 erscheint Kyros selbst, wie der Messias gefeiert. Hat der große Schöpfer des zweiten Jesaja seine Erleuchtung von einem Zarathustrajünger empfangen? Ist es möglich, daß die Perser selbst die innere Verwandtschaft beider Lehren empfanden und die Juden deshalb in die Heimat entließen? Gewiß ist, daß beide die volkstümlichen Vorstellungen von den letzten Dingen geteilt und den gleichen Haß gegen die Ungläubigen der altbabylonischen und antiken Religion gefühlt und ausgesprochen haben, gegen alle fremden Glaubensweisen überhaupt, nur nicht gegeneinander.
    Aber man muß diese »Heimkehr« doch auch einmal von Babylon aus betrachten. Es war die große und rassekräftige Menge, die diesem Gedanken in Wirklichkeit ganz fern stand, ihn nur als Gedanken, als Traum gelten ließ, ohne Zweifel ein tüchtiger Bauern- und Handwerkerschlag mit einem in Bildung begriffenen Landadel, der ruhig in seinen Besitzungen blieb, und zwar unter
einem eigenen Fürsten
, dem Resch galuta, der seine Residenz in Nehardea hatte. [Dieser »König der Verbannung« war eine angesehene und politisch maßgebende Persönlichkeit im persischen Reiche und ist erst durch den Islam beseitigt worden.] Die Heimziehenden sind die Wenigsten, die Hartköpfigen, die Eiferer. Es waren 40000, mit Weib und Kind. Das kann kein Zehntel, nicht einmal ein Zwanzigstel der Gesamtzahl gewesen sein. Wer diese Ansiedler und ihr Schicksal mit dem Judentum überhaupt verwechselt, [ Die christliche und die jüdische Theologie tun es beide. Sie unterscheiden sich nur, indem sie die israelitische Literatur, die später in Judäa mit der Richtung auf den Judaismus umgearbeitet worden ist, weiterhin in der Richtung entweder auf die Evangelien oder auf den Talmud deuten.] der vermag in den tieferen Sinn aller folgenden Ereignisse nicht einzudringen.
Die judäische Kleinwelt führte ein geistiges Sonderleben, das von der gesamten Nation geachtet, aber durchaus nicht geteilt wurde.
Im Osten blühte die apokalyptische Literatur, die Erbin der prophetischen, prachtvoll auf. Hier war eine echte Volksdichtung zu Hause, von der ein Meisterwerk, das Buch Hiob, mit seinem islamischen und gar nicht judäischen Geiste [Aber ein pharisäischer Kopf hat es später doch durch die Einfügung von Kap. 32–37 entstellt.] übrig geblieben ist, während viele andere Märchen und Sagen, darunter Judith, Tobit, Achikar, sich als Motive durch alle Literaturen der »arabischen« Welt verbreitet haben. In Judäa gedieh nur das Gesetz; der talmudische Geist erscheint zuerst bei Hesekiel (Kap. 40ff.) und verkörpert sich seit 450 in den Schriftgelehrten (Soferim) mit Esra an der Spitze. Von 300 v. bis 200 n. Chr. haben hier die Tannaim die Tora ausgelegt und also die Mischna entwickelt. Weder das Auftreten Jesu noch die Zerstörung des Tempels haben diese abstrakte Beschäftigung unterbrochen. Jerusalem wurde das Mekka der Strenggläubigen; als Koran wurde ein Gesetzbuch anerkannt, dem nach und nach eine ganze Urgeschichte mit chaldäisch-persischen Motiven, aber in pharisäischer Umgestaltung eingeordnet wurde. [Wenn die Annahme eines chaldäischen Prophetentums neben dem des Jesaja und Zarathustra richtig ist, so ist es diese junge, innerlich verwandte und gleichzeitige Astralreligion und nicht die babylonische, welcher die Genesis ihre merkwürdig tiefen Weltschöpfungssagen ebenso verdankt wie der persischen die Visionen vom Weltende.] Aber in diesem Kreise war kein Platz für eine weltliche Kunst, Poesie und Gelehrsamkeit. Was im Talmud an astronomischem, medizinischem und juristischem Wissen steht, ist ausschließlich mesopotamischer Herkunft. [S. Funk, Die Entstehung des Talmuds (1919), S. 106.] Wahrscheinlich begann dort
schon im Exil
jene chaldäisch-persisch-jüdische Sektenbildung, die zu Beginn der magischen Kultur bis zur Stiftung großer Religionen fortschritt und in der Lehre Manis den Gipfel erreichte. »Das Gesetz und die Propheten«

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