Der Untergang des Abendlandes
der »Auferstandene« wurde ihr Lehrer eine neue Gestalt innerhalb der Apokalyptik selbst, und zwar die wichtigste und abschließende. Aber damit war aus dem Zukunftsbilde ein Erinnerungsbild geworden. Es war etwas ganz Entscheidendes und in der gesamten magischen Gedankenwelt Unerhörtes, dies Eintreten einer selbsterlebten Wirklichkeit in den Kreis der großen Gesichte. Die Juden, darunter der junge Paulus, und die Mandäer, darunter die Jünger des Täufers, haben es leidenschaftlich bestritten. Für sie war er ein falscher Messias, von dem schon die ältesten persischen Texte gesprochen hatten. [Jesus selbst wußte davon: Matth. 24, 5 u. 11.] Für sie sollte »er« auch fernerhin noch kommen; für die kleine Gemeinde war er eben dagewesen. Sie hatten ihn gesehen, mit ihm gelebt. Man muß sich ganz in dies Bewußtsein versetzen, um seine ungeheure Überlegenheit in einer solchen Zeit zu begreifen. Statt eines ungewissen Blickes in die Ferne ein Stück ergreifender Gegenwart, statt der wartenden Angst die befreiende Gewißheit, statt einer Sage ein miterlebtes Menschenschicksal. Es war wirklich eine »frohe Botschaft«, die man verkündete.
Aber wem? Schon in den ersten Tagen erhebt sich die Frage, welche über das ganze Schicksal der neuen Offenbarung entschied. Jesus und seine Freunde waren Juden von Geburt, aber sie gehörten nicht zum judäischen Lande. Hier in Jerusalem erwartete man den Messias der alten heiligen Bücher, der allein für das jüdische Volk im ehemaligen Sinne einer Stammesgemeinschaft kommen sollte. Das ganze übrige aramäische Land aber erwartete den Erlöser
der Welt
, den Heiland und Menschensohn aller apokalyptischen Schriften, mochten sie jüdisch, persisch, chaldäisch oder mandäisch abgefaßt sein. [Die Bezeichnung Messias (Christus) ist altjüdisch, die Bezeichnungen Herr (êýñéïò, divus) und Heiland (óùôÞñ , Asklepios) waren ostaramäischen Ursprungs. Innerhalb der Pseudomorphose wird Christus zum Namen und Heiland zum Titel Jesu; Herr und Heiland waren aber schon vorher die Titel des hellenistischen Kaiserkults geworden: darin liegt das ganze Schicksal des westlich gerichteten Christentums. (Vgl. jetzt Reitzenstein, Das iran. Erlös.-Myst., S. 132 Anm.).] Im einen Falle waren Tod und Auferstehung Jesu nur ein örtliches Ereignis, im andern bedeuteten sie eine Weltwende. Denn während überall sonst die Juden eine magische Nation ohne Heimat und Einheit der Abstammung geworden waren, hielt man in Jerusalem an der Stammesauffassung fest. Es handelte sich nicht um »Juden-« oder »Heidenmission«: der Zwiespalt liegt viel tiefer. Das Wort Mission bedeutet hier durchaus zweierlei. Im Sinne des Judaismus bedurfte es eigentlich keiner Werbung; im Gegenteil, sie widersprach der Messiasidee. Die Begriffe Stamm und Mission schließen sich aus. Die Angehörigen des auserwählten Volkes und im besonderen die Priesterschaft hatten sich lediglich
zu überzeugen
, daß die Verheißung jetzt erfüllt war. Im andern Falle aber lag in der Idee der magischen, auf dem
consensus
beruhenden Nation, daß mit der Auferstehung die volle und endgültige Wahrheit und also mit dem consensus über sie
die Grundlage der wahren Nation
gegeben war, die sich nun ausdehnen mußte, bis sie alle älteren, der Idee nach unvollkommenen in sich aufgenommen hatte. »Ein Hirt und eine Herde« – das war die Formel für die neue
Weltnation
. Die Nation des Erlösers war mit der Menschheit identisch. Überblickt man die Vorgeschichte dieser Kultur, so ergibt sich, daß die Streitfrage des Apostelkonzils [Apostelgesch. 15; Gal. 2.] schon 500 Jahre vorher durch die Tat entschieden war: das nachexilische Judentum mit einziger Ausnahme des in sich abgeschlossenen Kreises von Judäa hatte wie die Perser, die Chaldäer und alle andern im ausgedehntesten Maße unter den Ungläubigen geworben, von Turkestan bis nach Innerafrika, ohne Rücksicht auf Heimat und Abkunft. Darüber stritt man nicht. Es kam dieser Gemeinschaft gar nicht zum Bewußtsein, daß es anders sein könne. Sie selbst war ja bereits das Ergebnis
eines nationalen Daseins, das in Ausdehnung bestand
. Die altjüdischen Texte waren ein sorgfältig behüteter Schatz, und die richtige Auslegung, die Halacha, behielten sich die Rabbiner vor. Die apokalyptische Literatur bildete dazu das äußerste Gegenteil: geschrieben, um schrankenlos alle Gemüter zu wecken, war sie in der Ausdeutung jedem einzelnen anheimgestellt. Wie seine ältesten Freunde es
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