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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Christentum später ebenso schroff abgelehnt wie das Judentum; Jesus war für sie ein falscher Messias; in ihrer Apokalypse vom Herrn der Größe wird das Erscheinen des Enosh weiterhin verkündet.] Zu ihm ging Jesus und wurde einer seiner Jünger. [Nach Reitzenstein, Das Buch vom Herrn der Größe, S. 65, ist er als Johannesjünger in Jerusalem verurteilt worden. Nach Lidzbarski (Mand. Lit. 1920, XVI) und Zimmern (Ztschr. d. D. Morg. Gesellsch. 1920, S. 429) weist der Ausdruck Jesus der Nazaräer oder Nasoräer, der später von der christlichen Gemeinde auf Nazareth bezogen wurde (Matth. 2, 23, mit einem unechten Zitat), auf die Zugehörigkeit zu einem mandäischen Orden hin.] Er war dreißig Jahre alt, als die Erweckung über ihn kam. Die apokalyptische und im besonderen die mandäische Gedankenwelt erfüllte von nun an sein ganzes Bewußtsein. Nur scheinhaft, fremd und bedeutungslos lag die andere Welt der geschichtlichen Wirklichkeit um ihn her. Daß »er« jetzt kommen und dieser so unwirklichen Wirklichkeit ein Ende machen werde, war seine große Gewißheit, und für sie trat er wie sein Meister Johannes als Verkünder auf. Noch jetzt lassen die ältesten ins Neue Testament aufgenommenen Evangelien diese Zeit hindurchschimmern, in der er in seinem Bewußtsein nichts war als ein Prophet. Z. B. Mark. 6 und dazu die große Wendung Mark. 8, 27 ff. Es gibt keine zweite Religion, aus deren Entstehungszeit Stücke von so treuherziger Berichterstattung erhalten sind. Aber es gibt einen Augenblick in seinem Leben, wo die Ahnung und dann die hohe Gewißheit über ihn kommt: Du bist es selbst. Es war ein Geheimnis, das er zuerst kaum sich selbst, dann seinen nächsten Freunden und Begleitern eingestand, die nun die selige Botschaft in aller Stille mit ihm teilten, bis sie die Wahrheit endlich durch den verhängnisvollen Zug nach Jerusalem vor aller Welt zu offenbaren wagten. Wenn irgend etwas die vollkommene Reinheit und Ehrlichkeit seiner Gedanken verbürgt, so ist es der Zweifel, ob er sich nicht doch vielleicht täusche, der ihn immer wieder ergriffen hat und von dem seine Jünger später ganz aufrichtig erzählt haben. Da kommt er in seine Heimat. Das Dorf läuft zusammen. Man erkennt den ehemaligen Zimmermann, der seine Arbeit verlassen hat, und ist entrüstet. Die Familie, seine Mutter, die zahlreichen Brüder und Schwestern schämen sich seiner und wollen ihn festnehmen. Da, als er all die bekannten Augen auf sich gerichtet fühlt, wird er verwirrt und die magische Kraft weicht von ihm (Mark. 6). In Gethsemane mischen sich Zweifel an seiner Sendung [Ähnlich Mark. 1, 35 ff., wo er noch in der Nacht aufsteht und eine einsame Stelle aufsucht, um sich im Gebet aufzurichten.] mitten in die entsetzliche Angst vor dem Kommenden, und noch am Kreuz vernahm man den qualvollen Ruf, daß Gott ihn verlassen habe.
    Selbst in diesen letzten Stunden lebt er ganz im Bilde seiner apokalyptischen Welt. Er hat nie eine andere wirklich um sich gesehen. Was den Römern, die unter ihm Wache standen, als Wirklichkeit galt, war ihm ein Gegenstand ratlosen Staunens, ein Trugbild, das sich unversehens in nichts auflösen konnte. Er besaß die reine und unverfälschte Seele des stadtlosen Landes. Das Leben der Städte, der Geist im städtischen Sinne waren ihm gänzlich fremd. Hat er das halbantike Jerusalem, in das er als der Menschensohn einzog, wirklich gesehen und in seinem geschichtlichen Wesen verstanden? Das ist das Ergreifende der letzten Tage, dieser Zusammenstoß von Tatsachen und Wahrheiten, von zwei Welten, die sich nie verstehen werden: daß er gar nicht wußte, was mit ihm geschah.
    So ging er in der Fülle des Verkündens durch sein Land, aber dieses Land war Palästina. Er war im antiken Imperium geboren und lebte unter den Augen des Judaismus von Jerusalem, und sobald seine Seele aus ihrem Schauen und dem Gefühl ihrer Sendung heraus um sich blickte, stieß sie auf die Wirklichkeit des römischen Staates und des Pharisäertums. Der Widerwille gegen dieses starre und eigensüchtige Ideal, den er mit dem ganzen Mandäertum und ohne Zweifel mit dem jüdischen Landvolke des weiten Ostens teilte, geht als erstes und dauerndes Merkmal durch alle seine Reden. Ihm graute vor diesem Wust verstandesmäßiger Formeln, der der einzige Weg zum Heil sein sollte. Dennoch war es nur eine andre Art von Frömmigkeit, die seiner Überzeugung mit rabbinischer Logik das Recht bestritt.
    Hier stand nun das Gesetz gegen die Propheten. Als Jesus

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