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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Tannaim zu Jerusalem seit 300 v. Chr. entwickelt, die andere durch Paulus begründet und durch die Kirchenväter vollendet, in der Richtung auf das Evangelium. Die ganze Fülle der Apokalyptik aber mit ihrer Erlöserverheißung, die damals umging, [Er hat sie genau gekannt. Viele seiner innerlichsten Anschauungen sind ohne persische und mandäische Eindrücke nicht denkbar, so Röm. 7, 22–24; I. Kor. 15, 26; Ephes. 5, 6 ff. mit einem Zitat persischen Ursprungs: Reitzenstein, Das iran, Erlös.-Myst. S. 6 u. 133 ff. Aber für eine Vertrautheit mit persisch-mandäischer
Literatur
beweist das nichts. Diese Geschichten waren damals verbreitet wie die Sagen und Volksmärchen früher bei uns. Man hörte als Kind davon erzählen; sie waren das tägliche »Hörensagen«. Man wußte gar nicht, wie tief man in ihrem Banne stand.] zog er in die Erlösungs
gewißheit
zusammen, so wie sie
ihm allein
vor Damaskus unmittelbar offenbart worden war. »
Jesus ist der Erlöser und Paulus ist sein Prophet
«: das ist der volle Inhalt seiner Verkündigung. Die Ähnlichkeit mit Mohammed kann nicht größer sein. Weder die Art der Erweckung noch das prophetische Selbstbewußtsein noch die Folgerungen daraus für das alleinige Recht und die unbedingte Wahrheit ihrer Auslegung sind verschieden.
    Mit Paulus erscheint der
Stadtmensch
und mit ihm die »Intelligenz« in diesem Kreise. Die andern, mochten sie auch Antiochia und Jerusalem kennen, haben doch das Wesen solcher Städte nie begriffen. Sie lebten erdverbunden, ländlich, ganz Seele und Gefühl. Hier erschien ein in den Großstädten antiken Stils gewachsener Geist, der nur in Städten leben konnte, der das bäuerliche Land weder begriff noch achtete. Mit Philo hätte er sich verständigen mögen, mit Petrus nicht. Er hat zuerst das Auferstehungserlebnis als
Problem gesehen
, und das selige Schauen der ländlichen Jünger verwandelte sich in seinem Kopfe in einen Streit geistiger Prinzipien. Wie war das doch anders – das Ringen in Gethsemane und die Stunde von Damaskus: ein Kind und ein Mann, Seelenangst und geistige Entscheidung, Ergebung in den Tod und Entschluß zum Wechsel der Partei. Er hatte in der neuen Judensekte zuerst eine Gefahr für die pharisäische Lehre von Jerusalem gesehen; plötzlich begriff er, daß die Nazarener »recht hatten« – ein Wort, an das man bei Jesus gar nicht denken kann; nun verteidigt er ihre Sache gegen den Judaismus und erhebt sie damit zu einer
geistigen Größe
, während sie bisher das Wissen um ein Erlebnis gewesen war. Eine geistige Größe – aber damit drängt er das Verteidigte ganz unbewußt den andern geistigen Mächten näher, die es damals gab:
den Städten des Westens.
Im Umkreis der reinen Apokalyptik gab es keinen »Geist«. Die alten Gefährten konnten ihn gar nicht verstehen. Sie müssen ängstlich und traurig auf ihn geblickt haben, als er auf sie einredete. Ihr lebendiges Jesusbild – Paulus hatte ihn ja nie gesehen – verblaßte vor diesem grellen Licht der Begriffe und Sätze. Von nun an wurde aus der heiligen Erinnerung ein Schulsystem. Aber Paulus hatte ein ganz richtiges Gefühl für die wahre Heimat seiner Gedanken. Er hat seine Missionsreisen sämtlich nach Westen gerichtet und den Osten überhaupt nicht beachtet.
Er hat das antike Staatsgebiet nie verlassen
. Warum ging er nach Rom, nach Korinth und nicht nach Edessa oder Ktesiphon?
Und warum nur in die Städte und niemals von Dorf zu Dorf?
    Paulus
allein
hat diese Entwicklung der Dinge veranlaßt. Seiner praktischen Energie gegenüber kamen die Gefühle aller andern nicht in Betracht. Damit war über die städtische und westliche Tendenz der jungen Kirche entschieden. Die letzten Heiden wurden später
pagani
genannt, die »Leute auf dem Lande«. Es erhob sich eine ungeheure Gefahr, die nur durch die Jugend und urwüchsige Kraft des werdenden Christentums abgewehrt worden ist: das Fellachentum der antiken Weltstädte griff mit beiden Händen danach und die Spuren blieben deutlich zurück. Wie weit entfernt war das doch vom Wesen Jesu, der ganz mit dem Lande und seinen Menschen verbunden gelebt hatte! Er hatte die Pseudomorphose gar nicht bemerkt, in deren Mitte er geboren war, und trug auch nicht den leisesten Zug von ihr in seiner Seele, und nun, ein Menschenalter hernach, als seine Mutter vielleicht noch lebte, war das, was aus seinem Tode aufgewachsen war, schon ein Mittelpunkt für das Formwollen der Pseudomorphose geworden. Die antiken Städte waren bald der

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