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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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einzige Schauplatz der kultischen und dogmatischen Entwicklung. Nach Osten breitete sich die Gemeinschaft nur verstohlen aus, wie um nicht bemerkt zu werden. [Die frühe Mission im Osten ist kaum untersucht worden und auch schwerlich noch in Einzelheiten festzustellen. Sachau, Chronik von Arbela (1915). Ders., Die Ausbreitung des Christentums in Asien, Abh. Pr. Ak. d. Wiss., (1919). A. v. Harnack, Mission und Ausbreitung des Christentums II, S. 117ff.] Um das Jahr 100 gab es schon Christen jenseits des Tigris, aber sie sind samt ihren Überzeugungen für den Gang der kirchlichen Entwicklung so gut wie nicht vorhanden.
    Aus der nächsten Umgebung des Paulus ist nun auch die zweite Schöpfung hervorgegangen, welche die Gestalt der neuen Kirche wesentlich bestimmt hat. Daß es Evangelien gibt, ist, so sehr die Persönlichkeit und Geschichte Jesu eine dichterische Gestaltung forderte, die Tat eines einzelnen, des Markus. [Die Forscher, die sich viel zu gelehrtenhaft um einen Urmarkus, die Quelle Q, die Zwölferquelle u. ä. streiten, übersehen das grundsätzlich Neue.
Markus ist das erste »Buch« des Christentums
, etwas Planvolles und Ganzes. Dergleichen ist nie das natürliche Ergebnis einer Entwicklung, sondern das Verdienst eines einzelnen Mannes und es bedeutet gerade hier eine geschichtliche Wendung.] Was Paulus und Markus vorfanden, war eine feste Tradition in den Gemeinden,
das
»Evangelium«, ein fortgesetztes Hörensagen und Weiterberichten, das durch formlose und unbedeutende Aufzeichnungen in aramäischer und griechischer Sprache gestützt, aber keineswegs dargestellt wurde. Daß einmal wichtige Schriften entstehen würden, war gewiß, aber aus dem Geist des Kreises, der mit Jesus
gelebt
hatte, und dem Geist des Ostens überhaupt wäre eine kanonische Sammlung seiner Aussprüche, die auf den Konzilien ergänzt, abgeschlossen und mit einem Kommentar versehen wurde, das Natürliche gewesen und dazu eine Jesusapokalypse mit der Parusie als Mittelpunkt. Die Ansätze dazu wurden durch das Evangelium des Markus, das um 65, gleichzeitig mit den letzten Paulusbriefen und griechisch wie diese geschrieben ist, gänzlich abgebrochen. Damit ist der Verfasser, der die Bedeutung seines kleinen Werkes gar nicht ahnte, eine der allerwichtigsten Persönlichkeiten nicht nur des Christentums, sondern der arabischen Kultur überhaupt geworden. Alle älteren Versuche verschwanden. Nur Schriften in Evangelienform blieben als Quellen über Jesus zurück. Das war so selbstverständlich, daß von nun an »Evangelium« aus der Bezeichnung eines Inhalts zu der einer Form wurde. Das Werk stammt aus dem Wunsch paulinischer, literaturgewohnter Kreise, die nie einen Gefährten Jesu von ihm hatten reden hören. Es ist ein
apokalyptisches Lebensbild aus der Ferne
; das Erlebnis ist durch Erzählung ersetzt, so schlicht und aufrichtig, daß man die apokalyptische Tendenz gar nicht bemerkt. [Markus ist eigentlich
das
Evangelium. Nach ihm beginnen die Parteischriften wie Lukas und Matthäus; der Ton des Berichtes geht in den der Legende über und endet jenseits des Hebräer- und Johannesevangeliums bei Jesusromanen wie den Evangelien des Petrus und Jakobus.] Aber sie bildet dennoch die Voraussetzung. Nicht die Worte Jesu, sondern die Lehre von ihm in der paulinischen Fassung ist der Stoff. Das erste christliche Buch geht aus der Schöpfung des Paulus hervor, aber diese selbst ist ohne das Buch und seine Nachfolger sehr bald nicht mehr zu denken.
    Denn jetzt entstand, was Paulus, ein inbrünstiger Scholastiker, nie gewollt, was er aber durch die Richtung seiner Tätigkeit unvermeidlich gemacht hatte,
die Kultkirche christlicher Nation
. Während die synkretistische Glaubensgemeinschaft in dem Maße, wie sie zum Selbstbewußtsein gelangte, die zahllosen alten Stadtkulte und die neuen magischen zusammenzog und diesem Gefüge durch einen höchsten Kult henotheistische Form gab, wurde der Jesuskult der ältesten Westgemeinden so lange zerlegt und bereichert, bis aus ihm eine ganz ähnlich gebaute Masse von Kulten entstanden war. [Wenn man das Wort katholisch im ältesten Sinne (Ignatius ad Smyrn. 8) anwendet: die Allgemeinde als
Summe
der Kultgemeinden, so sind
beide
Kirchen »katholisch«. Im Osten hat das Wort keinen Sinn. Die Nestorianerkirche ist so wenig wie die zoroastrische eine Summe, sondern eine magische Einheit.] Um die Geburt Jesu, von der die Jünger nichts gewußt haben, bildete sich eine Kindheitsgeschichte. Bei Markus kommt sie

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