Der Untergang des Abendlandes
des
sacramentum resurgentium
, des Sakraments der Wiedererstandenen. [Deshalb hat das Sakrament dem abendländischen Priester eine ungeheure Machtstellung verliehen. Er empfängt die persönliche Beichte, er spricht persönlich im Namen des Unendlichen los. Ohne ihn ist das Leben nicht zu ertragen. – Der Gedanke der Beicht
pflicht
, die 1215 endgültig festgesetzt wurde, stammt wie die ersten Bußbücher (Pönitentiale) aus England. Eben dort ist der Gedanke der unbefleckten Empfängnis entstanden, und auch die
Idee
des Papsttums zu einer Zeit, wo es in Rom selbst noch als bloße Macht- und Rangfrage behandelt wurde. Es beweist die Unabhängigkeit des gotischen vom magischen Christentum, daß die entscheidenden Ideen an der entferntesten Stelle, jenseits des Frankenreiches, aufgewachsen sind.]
Wird die Seele in dieser schwersten Entscheidung auf sich selbst verwiesen, so bleibt etwas Ungelöstes wie eine ewige Wolke über ihr. Keine Einrichtung einer zweiten Religion hat vielleicht so viel Glück in die Welt gebracht. Die ganze Inbrunst und himmlische Liebe der Gotik ruhte auf der Gewißheit der vollen Erlösung durch die dem Priester verliehene Kraft. Die Ungewißheit, die sich aus dem Verfall dieses Sakraments ergab, ließ mit der tiefen gotischen Lebensfreude auch die Marienwelt des Lichtes verblassen und die Teufelswelt blieb in ihrer düsteren Allgegenwart allein zurück. An die Stelle der nie mehr zu erreichenden Seligkeit trat der protestantische und vor allem puritanische
Heroismus
, der auch ohne Hoffnung auf verlorenem Posten weiterkämpft. »Die Ohrenbeichte hätte dem Menschen nie sollen genommen werden«, hat Goethe einmal bemerkt. Ein schwerer Ernst breitete sich über die Länder, in denen sie abgestorben war. Die Sitte, die Tracht, die Kunst, das Denken nahmen die nächtliche Farbe des einzigen Mythos an, der übrigblieb. Es gibt nichts Sonnenärmeres als die Lehre Kants. »Jedermann sein eigener Priester«: zu dieser Überzeugung mochte man sich durchkämpfen, soweit sie Pflichten, nie soweit sie Rechte enthielt. Mit der innigen Gewißheit der Lossprechung beichtet niemand sich selbst. Deshalb hat das ewig nagende Bedürfnis, die Seele dennoch von ihrer Vergangenheit richtend zu entlasten, alle höheren Formen der Mitteilung umgestaltet und in protestantischen Ländern die Musik, die Malerei, die Dichtung, den Brief, das Denkerbuch aus Mitteln der Darstellung zu solchen der Selbstanklage, Beichte und schrankenlosen Konfession gemacht. Auch im katholischen Gebiet, vor allem in Paris, begann mit dem Zweifel am Bußsakrament die Kunst als Psychologie. Der Blick in die Welt verschwand vor dem endlosen Wühlen im eigenen Innern. Statt des Unendlichen wurde die Mit- und Nachwelt der Menschen als Priester und Richter angerufen. Persönliche Kunst in dem Sinne, wie er Goethe von Dante, Rembrandt von Michelangelo unterscheidet, ist ein Ersatz für das Sakrament der Buße, aber damit befindet sich diese Kultur schon mitten in ihrer Spätzeit. [Den unermeßlichen Unterschied der faustischen und der russischen Seele verraten einige Wortklänge. Das russische Wort für Himmel ist
njébo
, eine Verneinung (
n
). Der Mensch des Abendlandes blickt hinauf, der Russe blickt zum Horizont ins Weite. Man muß den Tiefendrang beider also dahin unterscheiden, daß er dort die Leidenschaft des Vordringens nach allen Seiten in den unendlichen Raum ist, hier ein Sichentäußern, bis das »Es« im Menschen mit der endlosen Ebene eins geworden ist. So versteht der Russe die Worte Mensch und Bruder: er sieht auch das Menschentum als Ebene. Der Gedanke, daß ein Russe Astronom ist? Er sieht die Sterne gar nicht; er sieht nur den Horizont. Statt Himmelsdom sagt er Himmelsabhang. Es ist das, was mit der Ebene irgendwo in der Ferne den Horizont bildet. Das kopernikanische System ist seelisch für ihn etwas Lächerliches, mag es mathematisch sein, was es will.]
[»Schicksal« klingt wie eine Fanfare, »
ssudjbá
« knickt ein. Es gibt kein Ich unter diesem niedrigen Himmel. »
Alle sind an allem schuldig
«, das »Es« am »Es« in dieser endlos gedehnten Ebene – das ist das metaphysische Grundgefühl aller Schöpfungen Dostojewskis. Deshalb muß Iwan Karamasoff sich den Mörder nennen, obwohl ein anderer den Mord begangen hat. Der Verbrecher ist der
Unglückliche
– das ist die vollkommenste Verneinung faustischer persönlicher Verantwortlichkeit. Russische Mystik besitzt nichts von jener hinaufschwebenden Inbrunst der
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