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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Gotik, Rembrandts, Beethovens, die bis zum himmelstürmenden Jubel anwachsen kann. Gott ist hier nicht die azurne Tiefe dort oben. Die mystische russische Liebe ist die der Ebene, die zu den Brüdern unter gleichem Drucke, immer längs der Erde – längs der Erde; die zu den armen gequälten Tieren, die auf ihr wandern, zu den Pflanzen, niemals zu den Vögeln, Wolken und Sternen. Das russische
wolja
, unser Wille, bedeutet vor allem Nicht-müssen, Freisein – nicht
für
, sondern
von etwas
, vor allem von der Verpflichtung zu persönlicher Tat. Willensfreiheit erscheint als der Zustand, in dem kein anderes »Es« befiehlt und man sich also der Laune hingeben kann. Geist,
esprit, spirit
ist, das russische
duch
istWas für ein Christentum wird aus diesem Weltgefühl einst hervorgehen?]
18
    Reformation bedeutet in allen Kulturen dasselbe: Rückführung der Religion zur Reinheit ihrer ursprünglichen Idee, wie sie in den großen Jahrhunderten am Anfang in Erscheinung getreten war. Diese Bewegung fehlt in keiner Kultur, ob wir davon wissen wie in Ägypten oder nicht wie in China. Sie bedeutet auch, daß die Stadt und damit der bürgerliche Geist sich von der Seele des Landes allmählich befreien, ihrer Allmacht entgegentreten und das Fühlen und Denken der stadtlosen Urstände in bezug auf sich selbst nachprüfen. Daß diese Bewegung in der magischen und faustischen Kultur zur Abspaltung neuer Religionen geführt hat, ist Schicksal und liegt nicht in ihrem Begriff. Es ist bekannt, wie wenig unter Karl V. gefehlt hat, daß Luther der Reformator der Gesamtkirche wurde.
    Denn Luther war wie alle Reformatoren in allen Kulturen nicht der erste,
sondern der letzte einer mächtigen Reihe
, die von den großen Asketen des freien Landes zu städtischen Geistlichen hinüberleitet. Reformation ist
Gotik
, ihre Vollendung und ihr Testament. Luthers Choral: »Ein feste Burg« gehört
nicht
zur geistlichen Lyrik des Barock. In ihm dröhnt noch das prachtvolle Latein des
Dies irae
. Es ist das letzte gewaltige Teufelslied der streitenden Kirche: »Und wenn die Welt voll Teufel wär«. Er, wie alle Reformatoren, die seit 1000 aufstanden, bekämpfte die Kirche nicht, weil sie zu anspruchsvoll, sondern weil sie es zu wenig war. Der große Strom geht von Cluny über Arnold von Brescia, der die Rückkehr der Kirche zu apostolischer Armut forderte und 1155 verbrannt wurde, Joachim von Floris, der zuerst das Wort
reformare
gebraucht, die Spiritualen des Franziskanerordens, Jacopone da Todi, den Revolutionär und Dichter des Stabat Mater, der durch den Tod seines jungen Weibes vom Ritter zum Asketen wurde und Bonifaz VIII. stürzen wollte, weil er die Kirche nicht streng genug verwaltete, über Wiclif, Hus, Savonarola zu Luther, Karlstadt, Zwingli, Calvin und – Loyola. Sie wollen alle das Christentum der Gotik innerlich vollenden, nicht überwinden. Und ganz ebenso steht es mit Marcion, Athanasius, den Monophysiten und Nestorianern, die auf den Konzilen von Ephesus und Chalcedon die Lehre reinigen und zu ihrem Ursprung zurückführen wollen. [Und wie eine abgetrennte Reformationskirche notwendig die Stammkirche umwandelt, so gab es auch
eine magische Gegenreformation
. Im
decretum Gelasii
(um 500 in Rom) wurden sogar Clemens Alexandrinus, Tertullian, Lactanz, auf der Synode von 543 in Byzanz Origenes für Ketzer erklärt.] Aber auch die antiken Orphiker des 7. Jahrhunderts waren die letzten und nicht die ersten einer Reihe, die schon vor 1000 begonnen haben muß und ebenso wie die Vollendung der Re-Religion mit dem Ausgang des Alten Reiches – der ägyptischen Gotik – einen Abschluß und keinen Neubeginn bedeutet. Ganz ebenso gibt es eine reformatorische Vollendung der vedischen Religion etwa im 10. Jahrhundert, worauf die brahmanische Spätzeit einsetzt, und es muß im 9. Jahrhundert eine entsprechende Epoche in der Religionsgeschichte Chinas gegeben haben.
    Wie weit die Reformationen der einzelnen Kulturen sich auch sonst unterscheiden mögen, sie wollen alle den Glauben, der sich allzuweit in die Welt als Geschichte – die »Zeitlichkeit« – verirrt hat, in das Reich der Natur, des reinen Wachseins und des reinen, zeitlosen, kausal durchherrschten Raumes zurückführen, aus der Welt der Wirtschaft (»Reichtum«) in die der Wissenschaft (»Armut«), aus patrizisch-ritterlichen Kreisen, denen auch Renaissance und Humanismus angehören, in die geistlich-asketischen und endlich, was ebenso wichtig als unmöglich war, aus dem

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