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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Heiratspolitik – den Wahlansprüchen der Kurfürsten gegenüber –, durch Ferdinand von Aragonien, Heinrich VII. Tudor und Ludwig XI. von Frankreich gesichert war. [
Ständische
Parteien waren auch die beiden großen Genossenschaften in Byzanz, die ganz falsch als »Zirkusparteien« bezeichnet werden. Diese in
Syrien
entstandenen Blauen und Grünen nannten sich Demoi und hatten ihre Vorstände. Der Zirkus war wie 1789 das Palais Royal nur der Ort der öffentlichen Kundgebungen, und hinter diesen stand die Ständeversammlung des Senats. Als Anastasius I. 520 die monophysitische Richtung zur Geltung brachte, sangen die Grünen dort tagelang orthodoxe Hymnen und zwangen den Kaiser zur öffentlichen Abbitte. Das abendländische Seitenstück dazu bilden die Pariser Parteien unter den »drei Heinrichen« (1580), die Guelfen und Ghibellinen in dem Florenz Savonarolas und vor allem die aufständischen Faktionen in Rom unter Papst Eugen IV. Die Niederschlagung des Nikaaufstandes 532 durch Justinian endet dann auch mit der Begründung des staatlichen Absolutismus gegenüber den Ständen.]
    Aber durch die zunehmende Beschränkung auf das Jetzt und Hier war gleichzeitig das Priestertum aus den Ansätzen zu einem Stande eine bloße Summe staatlicher Ämter geworden; die Residenz des homerischen Königtums, statt den Mittelpunkt eines nach allen Seiten ins Weite strebenden Staatswesens zu bilden, zieht ihren Bannkreis zusammen, bis Staat und Stadt identisch sind. Aber damit fallen auch Adel und Patriziat zusammen, und da die Vertretung der frühen Städte auch in gotischer Zeit, im englischen Unterhaus wie in den französischen Generalständen ausschließlich eine solche der Patrizier ist, so stellt sich der mächtige antike Ständestaat
nicht der Idee, aber den Tatsachen nach
als reiner, königloser Adelsstaat dar. Diese streng apollinische Form der werdenden Polis heißt
Oligarchie
.
    Und so stehen am Ausgang beider Frühzeiten das faustisch-genealogische und das apollinisch-oligarchische Prinzip nebeneinander, zwei Arten von staatlichem Recht, von
dike
, die eine von unermeßlichem Weitengefühl getragen, mit einer urkundlichen Tradition tief in die Vergangenheit zurückreichend und mit dem gleichen Willen zur Dauer auf die entlegenste Zukunft bedacht, in der Gegenwart aber auf die politische Wirkung im weiten Räume, durch planvolle dynastische Heiraten und durch jene echt faustische, dynamische, kontrapunktische Politik der Ferne, die wir
Diplomatie
nennen; die andre ganz körperhaft und statuenhaft und sich durch die Politik der Autarkeia auf die strengste Nähe und Gegenwart beschränkend, überall da schroff ablehnend, wo das abendländische Dasein bejaht.
    Der dynastische wie der Stadtstaat setzen die Stadt selbst
voraus
, aber während die westeuropäischen Regierungssitze oft bei weitem nicht die größten Orte des Landes sind, sondern Mittelpunkte eines Kraftfeldes politischer Spannungen, in dem jedes Ereignis an noch so entfernter Stelle mit einem fühlbaren Zittern das Ganze durchläuft, drängt sich in der Antike das Leben immer enger zusammen und gelangt so zu der grotesken Erscheinung des Synoikismos. Es ist der Gipfel des euklidischen Formwollens innerhalb der politischen Welt. Man kann sich den Staat nicht denken, solange nicht die Nation auf einem Haufen,
als ein Leib
ganz körperlich zusammensitzt; man will ihn
sehen
, sogar übersehen, und während die faustische Tendenz dahin geht, die Zahl der dynastischen Mittelpunkte immer mehr zu verringern, und schon Maximilian I. eine genealogisch gesicherte Universalmonarchie seines Hauses in der Ferne auftauchen sah, zerfällt die antike Welt in zahllose solcher winzigen Punkte, die, sobald sie vorhanden sind, in das für antike Menschen beinahe denknotwendige Verhältnis der wechselseitigen Vernichtung als des reinsten Ausdrucks der Autarkeia eintreten. [Daraus ergibt sich ein doppelter Siedlungsbegriff. Während z. B. die preußischen Könige Ansiedler in ihr
Land
riefen wie die Salzburger Protestanten und die französischen Refugiés, hat Gelon von Syrakus um 480 die Bevölkerung ganzer Städte zwangsweise nach Syrakus geführt, das damit plötzlich die erste Großstadt der Antike wurde.]
    Der Synoikismos und damit die Begründung der eigentlichen Polis ist
ausschließlich ein Werk des Adels
, der für sich allein den antiken Ständestaat darstellte und diesen also durch Zusammenziehung von Landadel und Patriziat in Form brachte, wobei die Berufsklassen

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