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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Grundzüge der Papyruskunde (1912), S. 1 ff.] Das römische Imperium ist nichts als der letzte und größte Stadtstaat der Antike auf Grund eines riesenhaften Synoikismos. Der Redner Aristides konnte unter Marc Aurel mit vollem Recht sagen (in seiner Rede auf Rom): »Rom hat diese Welt im Namen
einer Stadt
zusammengefaßt. Wo man auch in ihr geboren sein mag, man wohnt doch in ihrer Mitte.« Aber auch die unterworfene Bevölkerung, wandernde Wüstenstämme und die Bewohner kleiner Alpentäler, werden als
civitates
konstituiert. Livius denkt durchaus in den Formen des Stadtstaates, und für Tacitus ist die Provinzialgeschichte überhaupt nicht vorhanden. Pompejus war im Jahre 49 verloren, als er vor Cäsar zurückwich und das militärisch bedeutungslose Rom preisgab, um sich im Osten eine Operationsbasis zu schaffen. In den Augen der herrschenden Gesellschaft hatte er damit den Staat preisgegeben. Rom war ihnen alles. [Ed. Meyer, Cäsars Monarchie (1918), S. 308.]
    Diese Stadtstaaten sind der Idee nach nicht erweiterungsfähig; ihre Zahl kann wachsen, nicht ihr Umfang. Es ist nicht richtig, wenn man den Übergang der römischen Klientel in die stimmberechtigte Plebs und die Schaffung der ländlichen Tribus als Durchbrechung des Polisgedankens auffaßt. Es ist hier wie in Attika: Das gesamte Leben des Staates, der
res publica
bleibt nach wie vor auf einen Punkt beschränkt und dieser ist die Agora, das römische Forum. Mag das Bürgerrecht an noch so viele Fernwohnende verliehen sein, zur Zeit Hannibals weithin in Italien und später in der ganzen Welt, zur Ausübung der politischen Seite dieses Rechts ist die
persönliche Gegenwart
auf dem Forum erforderlich. Damit ist die große Mehrzahl der Bürger nicht gesetzlich, aber tatsächlich ohne Einfluß auf die politischen Geschäfte. [Plutarch und Appian beschreiben die Menschenmasse, die auf allen Straßen Italiens zur Abstimmung über die Gesetze des Ti. Gracchus nach Rom wandert. Aber daraus geht hervor, daß dergleichen noch nie dagewesen war, und gleich nach seinem Gewaltschritt gegen Oktavius sieht Gracchus den Untergang vor Augen, weil die Menge wieder nach Hause geströmt und nicht zum zweiten Male zusammenzubringen ist. Zur Zeit Ciceros bestanden die Komitien oft nur in der Besprechung einiger Politiker, ohne daß sonst jemand teilnahm; aber nie ist einem Römer der Gedanke gekommen, die Abstimmung an den Wohnort der einzelnen zu verlegen, auch nicht den für ihr Bürgerrecht kämpfenden Italikern (90 v. Chr.), so stark war das Gefühl der Polis.] Das Bürgerrecht bedeutet also für sie lediglich die Dienstpflicht und den Genuß des städtischen Privatrechts. [In den abendländischen Dynastiestaaten gilt das Privatrecht für deren
Gebiet
und also für alle darin Anwesenden ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit.] Aber selbst für die nach Rom kommenden Bürger ist die politische Macht durch einen zweiten,
künstlichen Synoikismos
beschränkt, der sich erst nach und infolge der Bauernbefreiung vollzogen hat – sicherlich ganz unbewußt –, um die Idee der Polis streng aufrecht zu erhalten: die Neubürger werden ohne Rücksicht auf ihre Zahl in ganz wenige Tribus eingeschrieben, nach der
lex Julia
in acht, und sind in den Komitien deshalb stets in der Minderheit gegenüber der alten Bürgerschaft.
    Denn diese Bürgerschaft wird durchaus als
ein
Leib empfunden, als
soma
. Wer nicht dazu gehört, ist rechtlos,
hostis
. Die Götter und Heroen stehen oberhalb, der Sklave, der nach Aristoteles kaum ein Mensch zu nennen ist, unterhalb dieser Gesamtheit von Personen. [Vgl. Bd. II, S. 624 f.] Der einzelne aber ist [?] in einem Sinne, der uns aus dem Weitengefühl Denkenden und Lebenden als Inbegriff von Sklaverei erscheinen würde; er existiert
nur
vermöge seiner Zugehörigkeit zu einer einzelnen Polis. Infolge dieses euklidischen Gefühls war zuerst der Adel als festgeschlossenes
soma
mit der Polis gleichbedeutend, bis zu dem Grade, daß noch im Zwölftafelrecht die Ehe zwischen Patriziern und Plebejern verboten war und in Sparta die Ephoren nach alter Sitte bei ihrem Amtsantritt eine Kriegserklärung gegen die Heloten erließen. Das Verhältnis kehrt sich um, ohne seinen Sinn zu verändern, sobald infolge einer Revolution der Demos gleichbedeutend mit den
Nicht
adligen wird. Und wie nach innen, so ist nach außen das politische
soma
die Grundlage aller Ereignisse durch die ganze antike Geschichte hindurch. Zu Hunderten lagen diese kleinen Staaten auf der

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