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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Lauer, jeder nach Möglichkeit politisch und wirtschaftlich in sich abgeschlossen, bissig, auf den geringsten Anlaß losfahrend, um einen Kampf zu beginnen, dessen Ziel nicht die Ausdehnung des eignen Staates ist, sondern die Vernichtung des fremden: die Stadt wird zerstört, die Bürgerschaft getötet oder in die Sklaverei verkauft, genau wie eine Revolution
    Im Stadtstaat aber ist die Geltung des Privatrechts für den einzelnen erst eine Folge des Bürgerrechts. Die
civitas
bedeutet deshalb unendlich viel mehr als die moderne Staatsangehörigkeit, denn ohne sie ist der Mensch rechtlos und als Person nicht vorhanden. damit endet, daß die Unterliegenden erschlagen oder vertrieben werden und ihre Habe der siegreichen Partei zufällt. Der natürliche zwischenstaatliche Zustand ist in der abendländischen Welt ein dichtes Netz diplomatischer Beziehungen, die durch Kriege unterbrochen werden können. Das antike Völkerrecht setzt aber den Krieg als normalen Zustand voraus, der durch Friedensverträge zeitweise unterbrochen wird. Eine Kriegserklärung stellt hier also die natürliche politische Lage wieder her; erst so lassen sich die 40- und 50jährigen Friedensverträge,
spondai
, wie der berühmte des Nikias von 421 erklären, die lediglich eine vorübergehende Sicherheit gewährleisten sollen.
    Diese beiden Staatsformen und damit die zugehörigen Stile der Politik sind mit dem Ausgang der Frühzeit gesichert. Der Staatsgedanke hat über den Lehnsverband gesiegt, aber vertreten wird er doch durch die Stände und nur als ihre Summe ist die Nation politisch vorhanden.
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    Eine entscheidende Wendung vollzieht sich mit dem Beginn der Spätzeit, dort wo Stadt und Land sich im Gleichgewicht befinden und die eigentlichen Mächte der Stadt, Geld und Geist, so stark geworden sind, daß sie sich als Nichtstand den Urständen gewachsen fühlen. Es ist der Augenblick, wo der Staatsgedanke sich endgültig über die Stände erhebt, um sie durch den Begriff der Nation zu
ersetzen
.
    Der Staat hatte sein Recht erkämpft auf dem Wege vom Lehnsverband zum Ständestaat. In diesem sind die Stände nur noch vermöge des Staates vorhanden, nicht umgekehrt. Aber es lag doch so, daß die Regierung der regierten Nation nur derart gegenübertrat, als und soweit diese ständisch gegliedert war. Der Nation zugehörig waren alle, den Ständen aber eine Auswahl, und nur diese kam politisch in Betracht.
    Je mehr sich aber der Staat seiner reinen Form nähert, je
absoluter
er wird, abgelöst nämlich von jedem andern Formideal, desto mehr gewinnt der Begriff der Nation dem des Standes gegenüber an Gewicht, und es kommt der Augenblick, wo die Nation
als solche
regiert wird und die Stände nur noch gesellschaftliche Unterschiede bezeichnen. Gegen diese Entwicklung, die zu den Notwendigkeiten der Kultur gehört und unvermeidlich und unwiderruflich ist, erheben sich noch einmal die frühen Mächte, Adel und Priestertum. Für sie steht
alles
auf dem Spiel, das Heldenhafte und Heilige, das alte Recht, der Rang, das Blut, und von ihnen aus betrachtet – gegen was?
    Dieser Kampf der Urstände gegen die Staatsgewalt besitzt im Abendlande die Gestalt der
Fronde
; in der Antike, wo keine Dynastie die Zukunft vertritt und der Adel politisch allein da ist,
bildet
sich etwas Dynastisches, das den Staatsgedanken verkörpert und, gestützt auf den nichtständischen Teil der Nation, diesen selbst erst zu einer Macht erhebt. Das ist die Mission der
Tyrannis
.
    In dieser
Wendung vom Ständestaat zum absoluten Staat
, der alles nur in bezug auf sich gelten läßt, haben die Dynastien des Abendlandes und ebenso diejenigen Ägyptens und Chinas den Nichtstand, das
»Volk«
, zu Hilfe gerufen und damit
als politische Größe anerkannt
. Darin liegt die Bedeutung des Kampfes gegen die Fronde, und die Mächte der großen Stadt konnten für sich zunächst nur einen Vorteil darin erblicken. Der Herrscher steht hier im Namen des
Staates
, der Sorge für
alle
, und er bekämpft den Adel, weil dieser den
Stand
als politische Größe aufrecht erhalten will.
    In der Polis aber, wo der Staat ausschließlich in der Form lag und in keinem Oberhaupt erblich verkörpert war, erhob sich aus dem Bedürfnis, den Nichtstand für den Staatsgedanken einzusetzen, die Tyrannis, in welcher eine Familie oder Faktion des Adels selbst die dynastische Rolle übernahm, ohne welche eine Aktion des dritten Standes unmöglich gewesen wäre. Spätantike Historiker haben den Sinn dieses Vorgangs nicht

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