Der Untergang des Abendlandes
ist nichts gewesen als die Sklaverei einer ganzen Menschheit unter dem Regiment einer kleinen Zahl zum Herrschen entschlossener Kraftnaturen.
Zum Begriff der ausübenden Gewalt gehört, daß eine Lebenseinheit – schon unter Tieren – in Subjekte und Objekte der Regierung zerfällt. Das ist so selbstverständlich, daß diese innere Struktur jeder Masseneinheit selbst in den schwersten Krisen wie der von 1789 auch nicht einen Augenblick verloren geht. Nur der Inhaber verschwindet, nicht das Amt, und wenn wirklich ein Volk im Strom der Ereignisse jede Führung verliert und regellos dahintreibt, so bedeutet das nur, daß seine Führung nach auswärts verlegt, daß es
als Ganzes
Objekt geworden ist.
Politisch begabte Völker gibt es nicht. Es gibt nur Völker, die fest in der Hand einer regierenden Minderheit sind und die sich deshalb gut in Verfassung fühlen. Die Engländer sind als Volk ebenso urteilslos, eng und unpraktisch in politischen Dingen wie irgendeine andre Nation, aber sie besitzen eine
Tradition des Vertrauens
, bei allem Geschmack an öffentlichen Debatten. Der Unterschied besteht lediglich darin, daß der Engländer Objekt einer Regierung von sehr alten und erfolgreichen Gewohnheiten ist, der er zustimmt, weil er den Vorteil davon aus Erfahrung kennt. Von dieser Zustimmung, die nach außen als Verständnis erscheint, ist es nur ein Schritt zur Überzeugung, daß diese Regierung von seinem Willen abhängt, obwohl es umgekehrt sie ist, die ihm diese Ansicht aus technischen Gründen immer wieder einhämmert. Die regierende Klasse in England hat ihre Ziele und Methoden ganz unabhängig vom »Volk« entwickelt, und sie arbeitet mit – in – einer ungeschriebenen Verfassung, deren im Gebrauch entstandene völlig untheoretische Feinheiten dem Nichteingeweihten ebenso undurchsichtig wie unverständlich sind. Aber der Mut einer Truppe hängt vom Vertrauen auf die Führung ab; Vertrauen, das heißt unwillkürlich Verzicht auf Kritik. Der Offizier ist es, der Feiglinge zu Helden oder Helden zu Feiglingen macht. Das gilt von Heeren, Völkern, Ständen wie von Parteien.
Politische Begabung einer Menge ist nichts als Vertrauen auf die Führung
. Aber sie will erworben werden; sie will langsam reifen, durch Erfolge bewährt und zur Tradition geworden sein. Mangel an Führereigenschaften in der herrschenden Schicht ist es, was als mangelndes Gefühl der Sicherheit bei den Beherrschten zum Vorschein kommt, und zwar in jener Art von instinktloser, sich einmischender Kritik, die durch ihr bloßes Vorhandensein ein Volk außer Form geraten läßt.
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Wie man Politik
macht
? – Der geborene Staatsmann ist vor allem Kenner, Kenner der Menschen, Lagen, Dinge. Er hat den »Blick«, der ohne Zögern, unbestechlich den Kreis des Möglichen umfaßt. Der Pferdekenner prüft mit
einem
Blick die Haltung des Tieres und weiß, welche Aussichten es im Rennen besitzt. Der Spieler wirft einen Blick auf den Gegner und kennt den nächsten Zug. Das Richtige tun, ohne es zu »wissen«, die sichere Hand, die den Zügel unmerklich kürzer faßt oder fallen läßt – es ist das Gegenteil von der Begabung des theoretischen Menschen. Der geheime Takt alles Werdens ist in ihm und in den geschichtlichen Dingen ein und derselbe. Sie ahnen einander; sie sind für einander da. Der Tatsachenmensch kommt nie in Gefahr, Gefühls- und Programmpolitik zu treiben. Er glaubt nicht an die großen Worte. Er hat die Frage des Pilatus beständig auf den Lippen. Wahrheiten – der geborne Staatsmann steht jenseits von wahr und falsch. Er verwechselt die Logik der Ereignisse nicht mit der Logik der Systeme. »Wahrheiten« oder »Irrtümer«, was hier dasselbe ist – kommen für ihn nur als geistige Strömungen in Betracht, hinsichtlich ihrer
Wirkung
, deren Stärke, Dauer und Richtung er überblickt und für das Schicksal der von ihm gelenkten Macht in seine Rechnung stellt. Er hat Überzeugungen, die ihm teuer sind, gewiß, aber als Privatmann; kein Politiker von Rang hat sich, solange er handelte, von ihnen abhängig gefühlt. »Der Handelnde ist immer gewissenlos; es hat niemand Gewissen, als der Betrachtende« (Goethe). Das gilt von Sulla und Robespierre so gut wie von Bismarck und Pitt. Die großen Päpste und englischen Parteiführer haben, solange sie die Dinge zu meistern hatten, keine andern Grundsätze befolgt als die Eroberer und Empörer aller Zeiten. Man leite aus den
Handlungen
Innocenz' III., der die Kirche beinahe zur Weltherrschaft
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