Der Untergang des Abendlandes
wir sie als etwas Bewegtes ins Auge fassen. Politik ist die Art und Weise, in der dieses strömende Dasein sich behauptet,
wächst
, über andere Lebensströme triumphiert.
Das ganze Leben ist Politik
, in jedem triebhaften Zuge, bis ins innerste Mark. [Vgl. Bd. II, S. 977.] Was wir heute gern als Lebensenergie (Vitalität) bezeichnen, jenes »es« in uns, das vorwärts und aufwärts will um jeden Preis, der blinde, kosmische, sehnsüchtige Drang nach Geltung und Macht, der pflanzenhaft und rassehaft mit der Erde, der »Heimat« verbunden bleibt, das Gerichtetsein und Wirkenmüssen ist es, was überall unter höheren Menschen als politisches Leben die großen Entscheidungen sucht und suchen muß, um ein Schicksal entweder zu sein oder zu erleiden. Denn man wächst
oder stirbt ab
. Es gibt keine dritte Möglichkeit.
Deshalb ist der Adel als Ausdruck einer starken Rasse der eigentlich politische Stand, und Zucht, nicht Bildung die eigentlich politische Art der Erziehung. Jeder große Politiker, eine Kraftmitte im Strom des Geschehens, hat etwas Adliges in seinem Sichberufenfühlen und innerlich Gebundensein. Dagegen ist alles Mikrokosmische, aller »Geist« unpolitisch, und deshalb besitzt alle Programmpolitik und Ideologie etwas Priesterliches. Die besten Diplomaten sind die Kinder, wenn sie spielen oder etwas haben wollen. Da bricht das im Einzelwesen gebundene kosmische »es« sich unmittelbar und mit nachtwandlerischer Sicherheit Bahn. Sie lernen nicht, sie verlernen diese Meisterschaft der ersten Jahre mit dem Wachwerden der Jugend. Eben deshalb ist unter Männern der Staatsmann etwas so Seltenes.
Diese Daseinsströme im Bereich einer hohen Kultur, in und zwischen denen allein es große Politik gibt, sind nur in Mehrzahl möglich. Ein Volk ist wirklich nur in bezug auf andere Völker. [Vgl. Bd. II, S. 1007.] Aber das natürliche, rassehafte Verhältnis zwischen ihnen ist eben deshalb der Krieg. Das ist eine Tatsache, die durch Wahrheiten nicht verändert wird. Der Krieg ist die Urpolitik
alles
Lebendigen und zwar bis zu dem Grade, daß Kampf und Leben in der Tiefe eins sind und mit dem Kämpfenwollen auch das Sein erlischt. Altgermanische Worte dafür wie
orrusta
und
orlog
bedeuten Ernst und Schicksal im Gegensatz zu Scherz und Spiel; das ist eine Steigerung, nichts dem Wesen nach Verschiedenes. Und wenn alle hohe Politik der Ersatz des Schwertes durch geistigere Waffen sein will und der Ehrgeiz des Staatsmannes auf der Höhe aller Kulturen dahin geht, den Krieg fast nicht mehr nötig zu haben, so bleibt doch die Urverwandtschaft zwischen Diplomatie und Kriegskunst bestehen: der Charakter des Kampfes, dieselbe Taktik, dieselbe Kriegslist, die Notwendigkeit materieller Kräfte im Hintergrund, um den Operationen Gewicht zu geben; und auch das Ziel bleibt das gleiche: das Wachstum der eignen Lebenseinheit – Stand oder Nation – auf Kosten der andern. Und jeder Versuch, dies rassemäßige Element auszuschalten, führt nur zu seiner Verlegung auf ein andres Gebiet: statt zwischen Parteien zwischen Landschaften, oder wenn auch da der Wille zum Wachstum erlischt, zwischen den Gefolgschaften von Abenteurern, denen sich der Rest der Bevölkerung freiwillig fügt.
In jedem Kriege zwischen Lebensmächten handelt es sich darum, wer das Ganze regiert. Es ist stets ein Leben, nie ein System, Gesetz oder Programm, das im Strom des Geschehens den Takt angibt. [Das bedeutet der englische Grundsatz
men not measures
, und damit ist eigentlich das Geheimnis aller erfolgreichen Politik gegeben.] Das Aktionszentrum, die handelnde Mitte einer Menge sein, [Vgl. Bd. II, S. 577, 1008.] die innere Form der eignen Person zur Form ganzer Völker und Zeitalter erheben, das Kommando der Geschichte haben, um das eigne Volk oder Geschlecht und seine Ziele an die Spitze der Ereignisse zu führen, das ist der kaum bewußte und unwiderstehliche Trieb in jedem Einzelwesen von historischem Beruf. Es gibt nur
persönliche
Geschichte und deshalb nur
persönliche
Politik. Der Kampf nicht von Grundsätzen, sondern von Menschen, nicht von Idealen, sondern von Rassezügen um die ausübende Macht ist das erste und letzte, und auch die Revolutionen bilden keine Ausnahme, denn »Souveränität des Volkes« ist nichts als ein Wort dafür, daß die herrschende Gewalt den Titel Volksführer statt König angenommen hat. Die Methode des Regierens verändert sich damit kaum, die Lage der Regierten gar nicht. Und selbst der Weltfriede, so oft er schon da war,
Weitere Kostenlose Bücher