Der Untergang des Abendlandes
geführt hat, die Grundregeln ab und man erhält einen Katechismus des Erfolges, der das äußerste Gegenteil aller religiösen Moral darstellt, ohne den es aber keine Kirche, keine englischen Kolonien, keine amerikanischen Vermögen, keine siegreiche Revolution und endlich weder einen Staat, noch eine Partei, noch überhaupt ein Volk in erträglicher Lage geben würde. Das
Leben
, nicht der Einzelne ist gewissenlos.
Deshalb gilt es die Zeit verstehen,
für die
man geboren ist. Wer ihre geheimsten Mächte nicht ahnt und begreift, wer nicht in sich selbst etwas Verwandtes fühlt, das ihn vorwärts drängt auf einer Bahn, die sich mit Begriffen nicht umschreiben läßt, wer an die Oberfläche, die öffentliche Meinung, die großen Worte und Ideale des Tages glaubt, ist ihren Ereignissen nicht gewachsen. Sie haben ihn, nicht er sie in der Gewalt. Nicht zurückblicken und den Maßstab aus der Vergangenheit holen! Noch weniger zur Seite auf irgendein System! Es gibt in Zeiten wie der heutigen oder der des Gracchus zwei Arten von verhängnisvollem Idealismus, den reaktionären und den demokratischen. Der eine glaubt an die Umkehrbarkeit der Geschichte, der zweite an ein Ziel in ihr. Aber für den notwendigen Mißerfolg, mit dem beide die Nation belasten, über deren Schicksal sie Macht besitzen, ist es gleichgültig, ob man sie einer Erinnerung opfert oder einem Begriff. Der echte Staatsmann ist die Geschichte in Person, ihr Gerichtetsein als Einzelwille, ihre organische Logik als Charakter.
Der Staatsmann von Rang sollte aber auch Erzieher in einem großen Sinne sein, nicht Vertreter einer Moral oder Doktrin, sondern vorbildlich in seinem Tun. [Vgl. Bd. II, S. 980.] Es ist eine bekannte Tatsache, daß keine neue Religion den Stil des Daseins je verändert hat. Sie durchdrang das Wachsein, den
geistigen
Menschen, sie warf neues Licht auf eine jenseitige Welt, sie schuf unermeßliches Glück durch die Kraft des Sichbescheidens, des Entsagens und des Duldens bis zum Tode; über die Mächte des Lebens besaß sie keine Gewalt. Schöpferisch im Lebendigen, nicht bildend, sondern züchtend, den Typus ganzer Stände und Völker verwandelnd wirkt nur die große Persönlichkeit, das »es«, die Rasse in ihr, die in ihr gebundene kosmische Kraft. Nicht
die
Wahrheit,
das
Gute,
das
Erhabene, sondern
der
Römer,
der
Puritaner,
der
Preuße ist eine Tatsache. Ehrgefühl, Pflichtgefühl, Disziplin, Entschlossenheit – das lernt man nicht aus Büchern. Es wird im strömenden Dasein
geweckt
durch ein lebendiges Vorbild. Deshalb war Friedrich Wilhelm I. einer der größten Erzieher aller Zeiten, dessen persönliche rassebildende Haltung aus der Folge von Generationen nicht wieder verschwindet. Es unterscheidet den echten Staatsmann von dem Nurpolitiker, dem Spieler aus Freude am Spiel, dem Glücksjäger auf den Höhen der Geschichte, dem Habgierigen und Rangsüchtigen, dem Schulmeister eines Ideals, daß er Opfer fordern darf und sie erhält, weil sein Gefühl, für die Zeit und Nation notwendig zu sein, von Tausenden geteilt wird, sie bis ins Innerste umgestaltet und zu Taten befähigt, denen sie sonst nicht gewachsen wären. [Das gilt endlich auch von den Kirchen, die etwas ganz anderes sind als Religionen, nämlich Elemente der Tatsachenwelt und deshalb im Charakter ihrer Führung politisch und nicht religiös. Nicht die christliche Predigt, der christliche Märtyrer hat die Welt erobert, und daß er die Kraft dazu besaß, verdankt er nicht der Lehre, sondern dem Vorbild des Mannes am Kreuz.]
Das Höchste aber ist nicht handeln sondern
befehlen können
. Erst damit wächst der Einzelne über sich selbst hinaus und wird zum Mittelpunkt einer tätigen
Welt
. Es gibt eine Art des Befehlens, die das Gehorchen zu einer stolzen, freien und vornehmen Gewohnheit macht und die z. B. Napoleon
nicht
besaß. Ein Rest von subalterner Gesinnung hat ihn verhindert, Männer und nicht Zubehöre einer Registratur zu erziehen, durch Persönlichkeiten und nicht durch Verordnungen zu herrschen; und weil er sich auf diesen feinsten Takt des Befehlens nicht verstand und deshalb alles wirklich Entscheidende selbst zu tun hatte, ist er am Mißverhältnis zwischen den Aufgaben seiner Stellung und den Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit langsam zugrunde gegangen. Wer aber diese höchste und letzte Gabe vollkommensten Menschentums besitzt wie Cäsar oder Friedrich der Große, der empfängt am Abend einer Schlacht, wenn die Operationen dem gewollten Ende
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