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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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ihn
Erreichbaren bestimmt. Für die Großväter und Enkel ist etwas anderes gegeben und also Ziel und Aufgabe. Der Kreis verengt sich weiter durch die Schranken seiner Persönlichkeit und durch die Eigenschaften seines Volkes, der Lage und der Menschen, mit denen er arbeiten muß. Es kennzeichnet den Politiker von Rang, daß er selten Opfer zu bringen hat, weil er sich über diese Grenzen täuschte, daß er aber auch nichts, was sich verwirklichen ließe, übersieht. Dahin gehört – gerade unter Deutschen kann das nicht oft genug wiederholt werden –, daß er das, was sein sollte, nie mit dem verwechselt, was sein
wird
. Die Grundformen des Staates und des politischen Lebens, die Richtung und der Stand ihrer Entwicklung sind mit einer Zeit gegeben und unabänderlich. Alle politischen Erfolge werden mit ihnen, nicht an ihnen erzielt. Die Anbeter politischer Ideale allerdings schaffen aus dem Nichts. Sie sind – in ihren Köpfen – erstaunlich frei; aber ihre Gedankenbauten aus den luftigen Begriffen Weisheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit sind schließlich ewig dieselben, und sie fangen immer wieder von vorn an. Dem Meister der Tatsachen genügt es, das für ihn schlechthin Vorhandene unmerklich zu lenken. Das erscheint wenig, und doch beginnt erst hier die Freiheit in einem großen Sinne. Auf die
kleinen
Züge, den letzten vorsichtigsten Druck auf das Steuerruder, das Feingefühl für die zartesten Schwankungen der Völker- und Einzelseelen kommt es an. Staatskunst ist der klare Blick für die großen Linien, die unverrückbar gezogen sind,
und
die sichere Hand für das
Einmalige, das Persönliche
, das in ihrem Rahmen aus einem nahenden Verhängnis einen entscheidenden Erfolg machen kann. Das Geheimnis aller Siege liegt in der Organisation des Unscheinbaren. Wer sich darauf versteht, kann als Vertreter des Besiegten den Sieger beherrschen wie Talleyrand in Wien. Cäsar, dessen Lage damals fast verzweifelt war, hat in Lucca die Macht des Pompejus unvermerkt seinen Zielen dienstbar gemacht und damit untergraben; aber es gibt eine gefährliche Grenze des Möglichen, welche der vollendete Takt der großen Barockdiplomaten kaum je verletzt hat, während es Vorrecht des Ideologen ist, beständig darüber zu stolpern. Es gibt Wendungen in der Geschichte, von denen der Kenner sich eine Zeitlang treiben läßt, um die Herrschaft nicht zu verlieren. Jede Lage besitzt ihr Maß von Elastizität, über das man sich nicht im geringsten täuschen darf. Eine zum Ausbruch gekommene Revolution beweist immer einen Mangel an politischem Takt bei den Regierenden
und
ihren Gegnern.
    Das Notwendige soll man
rechtzeitig
tun, solange es nämlich ein Geschenk ist, mit dem die regierende Macht sich das Vertrauen sichert, und nicht als ein Opfer gebracht werden muß, das eine Schwäche offenbart und Verachtung weckt. Politische Formen sind lebendige Formen, die sich unerbittlich in einer bestimmten Richtung verändern. Man hört auf »in Form« zu sein, wenn man diesen Gang hemmen oder in Richtung eines Ideals ablenken will. Die römische Nobilität besaß den Takt dafür, die spartanische nicht. Im Zeitalter der aufsteigenden Demokratie ist immer wieder der verhängnisvolle Augenblick erreicht worden, in Frankreich vor 1789, in Deutschland vor 1918, wo es zu spät war, mit einer notwendigen Reform ein freies Geschenk zu machen, und man sie also mit rücksichtsloser Energie hätte verweigern müssen, weil sie nunmehr
als Opfer
die Auflösung herbeizog. Wer aber das erste nicht rechtzeitig sieht, wird die zweite Notwendigkeit noch sicherer verkennen. Auch der Gang nach Canossa kann zu früh oder zu spät angetreten werden; darin liegt die Entscheidung für ganze Völker, ob man künftig ein Schicksal für andere ist oder von andern erleidet. Aber die absteigende Demokratie wiederholt den gleichen Fehler, halten zu wollen, was das Ideal von gestern war. Es ist die Gefahr des 20. Jahrhunderts. Auf jedem Pfade zum Cäsarismus findet sich ein Cato.
    Der Einfluß, den selbst ein Staatsmann von ungewöhnlich starker Stellung auf die politischen
Methoden
besitzt, ist sehr gering, und es gehört zum Range des Staatsmannes, daß er sich darüber nicht täuscht. Seine Aufgabe ist es, mit und in der vorliegenden geschichtlichen Form zu arbeiten; nur der Theoretiker begeistert sich daran, idealere Formen zu erfinden. Zum politischen »in Form sein« gehört aber die unbedingte
Beherrschung der modernsten Mittel
. Hier gibt es keine Wahl. Die

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