Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
Vom Netzwerk:
Mittel und Methoden sind durch die Zeit gegeben und gehören zur inneren Form einer Zeit. Wer sich in ihnen vergreift, wer seinem Geschmack und Gefühl Macht über seinen Takt gestattet, verliert die Tatsachen aus der Hand. Die Gefahr einer Aristokratie ist es, konservativ in den Mitteln zu sein; die Gefahr der Demokratie ist die Verwechslung der Formel mit der Form. Die Mittel der Gegenwart sind noch auf Jahre hinaus die parlamentarischen: Wahlen und Presse. Man kann über sie denken, wie man will, sie verehren oder verachten, aber man muß sie
beherrschen
. Bach und Mozart
beherrschten
die musikalischen Mittel ihrer Zeit. Das ist das Kennzeichen jeder Art von Meisterschaft. Mit der Staatskunst steht es nicht anders. Aber die allgemein sichtbare Außenform ist allerdings nicht die, auf welche es ankommt, sondern nur deren Verkleidung. Deshalb läßt sie sich ändern, ohne daß am Wesen des Geschehens etwas geändert wird, auf Begriffe und in Verfassungstexte bringen, ohne die Wirklichkeit auch nur zu berühren, und der Ehrgeiz aller Revolutionäre erschöpft sich darin, sich in dieses Spiel von Rechten, Grundsätzen und Freiheiten an der geschichtlichen Oberfläche zu mischen. Der Staatsmann weiß, daß die Ausdehnung eines Wahlrechts ganz unwesentlich ist gegenüber der athenischen oder römischen, jakobinischen, amerikanischen und nun auch deutschen Technik, Wahlen zu
machen
. Wie die englische Verfassung lautet, ist gleichgültig gegenüber der Tatsache, daß ihre Anwendung von einer kleinen Schicht vornehmer Familien beherrscht wird, so daß Eduard VII. ein Minister seines Ministeriums war. Und was die moderne Presse betrifft, so mag der Schwärmer zufrieden sein, wenn sie verfassungsmäßig »frei« ist; der Kenner fragt nur danach, wem sie zur Verfügung steht.
    Politik ist endlich die Form, in der die Geschichte einer Nation innerhalb einer Mehrzahl von Nationen vollzogen wird. Die große Kunst ist, die eigene innerlich in Form zu halten für die Ereignisse draußen. Das ist nicht nur für Völker, Staaten und Stände, sondern für lebendige Einheiten jeder Art bis zu den einfachsten Tierschwärmen und bis zum einzelnen Körper hinab das natürliche Verhältnis von Innen- und Außenpolitik,
von denen die erste ausschließlich für die zweite da ist, nicht umgekehrt
. Der echte Demokrat pflegt jene als Selbstzweck zu behandeln, der Durchschnittsdiplomat denkt nur an diese. Aber eben deshalb hängen die Einzelerfolge beider in der Luft. Der politische Meister zeigt sich ohne Zweifel am sichtbarsten in der Taktik innerer Reformen, in seiner wirtschaftlichen und sozialen Tätigkeit, in dem Geschick, die öffentliche Form des Ganzen, die »Rechte und Freiheiten« mit dem Zeitgeschmack in Einklang
und zugleich
leistungsfähig zu halten, in der Erziehung von Gefühlen, ohne die es nicht möglich ist, daß ein Volk in Verfassung bleibt: Vertrauen, Achtung vor der Führung, Machtbewußtsein, Zufriedenheit und, wenn es notwendig wird, Begeisterung. Aber das alles erhält seinen Wert erst im Hinblick auf die Grundtatsache der höheren Geschichte, daß ein Volk nicht allein in der Welt ist und daß über seine Zukunft durch das Kräfteverhältnis zu andern Völkern und Mächten entschieden wird und nicht durch die bloße Ordnung in sich selbst. Und da der Blick des gewöhnlichen Menschen so weit nicht reicht, ist es die regierende Minderheit, welche ihn für den Rest besitzen muß, jene Minderheit, in welcher der Staatsmann erst das Werkzeug findet, mit dem er seine Absichten ausführen kann . [Es sollte eigentlich kaum betont werden müssen, daß das nicht die Grundsätze einer aristokratischen Regierung sind, sondern die des Regierens überhaupt. Kein begabter Massenführer, weder Kleon noch Robespierre noch Lenin hat sein Amt anders behandelt. Wer sich wirklich als Beauftragter der Menge fühlt statt als Regent von solchen, die nicht wissen, was sie wollen, würde keinen Tag lang Herr im Hause sein. Die Frage ist nur, ob gerade die großen Volksführer ihre Stellung für sich oder für die andern verwalten, und darüber ließe sich manches sagen.]
17
    Für die frühe Politik aller Kulturen sind die leitenden Mächte fest gegeben. Das gesamte Dasein ist streng in patriarchalischer und sinnbildlicher Form; die Bindungen des mütterlichen Landes sind so stark, der Lehnsverband und auch noch der Ständestaat sind für das in sie gebannte Leben etwas so Selbstverständliches, daß die Politik der homerischen und gotischen

Weitere Kostenlose Bücher