Der Untergang des Abendlandes
der Begriffe Aristokratie und Demokratie, und zwar für
alle
Kulturen. Aristokratisch ist die Verachtung des Geistes der Städte, demokratisch die Verachtung des Bauern, der Haß gegen das Land. [Für die Demokratie in England und Amerika ist es wesentlich, daß das Bauerntum dort abgestorben und hier nicht vorhanden gewesen ist. Der »Farmer« ist seelisch Vorstädter und betreibt praktisch die Landwirtschaft als Industrie. Statt der Dörfer gibt es nur Fragmente von Großstädten.] Es ist der Unterschied von Standespolitik und Parteipolitik, von Standes
bewußtsein
und Partei
gesinnung
, von Rasse und Geist, Wachstum und Konstruktion. Aristokratisch ist die vollendete Kultur, demokratisch die beginnende weltstädtische Zivilisation, bis der Gegensatz im Cäsarismus aufgehoben wird. So gewiß der Adel der Stand ist, und der
tiers
es niemals dahin bringt, in dieser Weise wirklich in Form zu sein, so gewiß mißlingt es dem Adel, als Partei sich nicht zu organisieren, aber zu fühlen.
Aber der Verzicht darauf steht ihm nicht frei. Alle modernen Verfassungen verleugnen die Stände und sind auf die Partei als die selbstverständliche Grundform der Politik hin angelegt. Das 19. Jahrhundert, und also auch das vorchristliche dritte, ist die Glanzzeit der Parteipolitik. Ihr demokratischer Zug erzwingt die Bildung von
Gegenparteien
, und während einst – noch im 18. Jahrhundert! – der
tiers
sich nach dem Vorbild des Adels als Stand konstituierte, so entsteht jetzt nach dem Vorbild der liberalen das
Abwehrgebilde
der konservativen Partei, [Und überall da, wo zwischen den beiden Urständen auch ein
politischer
Gegensatz besteht wie in Ägypten, Indien und im Abendland, noch eine klerikale, d. h. nicht etwa die Religion, sondern die Kirche, nicht die Gläubigen, sondern die Priesterschaft als Partei.] durchaus von deren Formen beherrscht, verbürgerlicht, ohne bürgerlich zu sein, und auf eine Taktik verwiesen, deren Mittel und Methoden ausschließlich durch den Liberalismus bestimmt sind. Sie haben nur die Wahl, diese Mittel besser zu handhaben als der Gegner [Und ihr stärkerer Gehalt an Rasse gibt ihnen alle Aussicht dazu.] oder zu unterliegen, aber es ist tief im Wesen eines Standes begründet, daß er diese Lage nicht begreift und nicht den Feind, sondern die Form bekämpfen will: ein Appell an die äußersten Mittel, der zu Beginn jeder Zivilisation die Innenpolitik ganzer Staaten verheert und sie dem äußeren Gegner wehrlos überliefert. Der Zwang jeder Partei, der Erscheinung nach bürgerlich zu sein, erhebt sich zur Karikatur, sobald sich unterhalb der städtischen Schichten von Bildung und Besitz auch noch der Rest als Partei organisiert. Der Marxismus z. B., der Theorie nach eine Verneinung des Bürgertums, ist als Partei nach Haltung und Führung spießbürgerlich durch und durch. Es besteht ein fortwährender Konflikt zwischen dem Wollen, das notwendig aus dem Rahmen der Parteipolitik und damit jeder Verfassung heraustritt – beides ist ausschließlich liberal – und ehrlicherweise nur als Bürgerkrieg bezeichnet werden kann, und dem Auftreten, das man sich schuldig zu sein glaubt und das man jedenfalls haben muß, um in dieser Zeit irgendeinen dauernden Erfolg zu erzielen. Aber das Auftreten einer Adelspartei in einem Parlament ist innerlich ebenso unecht wie das einer proletarischen. Nur das Bürgertum ist hier zu Hause.
In Rom haben Patrizier und Plebejer von der Einsetzung der Tribunen 471 bis zur Anerkennung ihrer gesetzgeberischen Vollmacht in der Revolution von 287 [Vgl. Bd. II, S. 1070 f.] im wesentlichen als Stände gekämpft. Von da an besitzt dieser Gegensatz nur noch genealogische Bedeutung, und es entwickeln sich Parteien, die man sehr wohl als liberal und konservativ bezeichnen kann: der auf dem Forum tonangebende Populus [Plebs entspricht dem
tiers
– Bürger und Bauern – des 18.,
populus
der großstädtischen »Masse« des 19. Jahrhunderts. Der Unterschied kommt in der Haltung gegenüber den freigelassenen Sklaven meist nichtitalischer Herkunft zum Ausdruck, welche die Plebs als Stand in möglichst wenige Tribus zurückzudrängen sucht, während sie im Populus als einer Partei bald die ausschlaggebende Rolle spielten.] und die Nobilität mit ihrem Stützpunkt im Senat. Dieser hat sich um 287 aus einem Familienrat der alten Geschlechter in einen Staatsrat der Verwaltungsaristokratie verwandelt. Dem Populus stehen die nach dem Besitz abgestuften Zenturiatkomitien und die Gruppe der
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